Deutsch als Wissenschaftssprache außerhalb ihres Kerngebiets der Germanistik kämpft oftmals ums Überleben. Es ist deshalb umso erstaunlicher, dass sich die Herausgeber des Aufsatzbands Die Welt von GAME OF THRONES für Deutsch und somit für eine Außenseiterposition im dynamischen Diskurs um Martins Werk entschieden haben – sehr zum Schaden all derjenigen interessierten Leser*innen und Wissenschaftler*innen, die kein Deutsch können, denn die allermeisten der 23 Beiträge aus den unterschiedlichsten kulturwissenschaftlichen Disziplinen sind sehr zu empfehlen. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit allen Aufsätzen ist hier zwar nicht möglich, die acht Themenbereiche, in die die Herausgeber die Texte gebündelt haben, sollen aber in chronologischer Reihenfolge behandelt und kurz kommentiert werden.
Den Anfang machen zwei Untersuchungen zu den Machtstrukturen in Westeros. Stefan Donecker liefert eine überzeugende Analyse der Grundsätze der genealogi-schen Legitimation und deren Instrumentalisierung durch Martin, der die mittelalterlich anmutenden sozialen Konventionen seiner Welt (Primogenitur etc.) einerseits für die Erschaffung eines epochenspezifischen Flairs verwendet, sie aber anderseits als Ausgangspunkt für die inneren Konflikte nimmt, unter denen die meisten seiner Protagonisten leiden. Die Suspendierung dieses Prinzips durch ungeahndeten Verwandtenmord und der Durchsetzung des Recht des Stärkeren in der 6. Staffel hat dann auch zur Folge, dass die Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttert wird. Eine andere Herangehensweise hat Anja Müller gewählt, die in einem handwerklich soliden Beitrag anhand der Bezugnahme auf und die Verwendung des Löwen durch die verschiedenen Mitglieder der Familie Lannister aufzeigt, wie Martin die seit der Spätantike festzustellende reichhaltige und nicht immer eindeutige Symbolik der Löwenfigur zur Charakterisierung der Familie Lannister und ihrer Mitglieder nutzt.
Der zweite Abschnitt umfasst auch wieder zwei Aufsätze – beide mit einem Fokus auf dem Norden als Ort der Konstruktion des Anderen bzw. Fremden. Während Mario Grizelj einen umfassenden theoretischen Rahmen und ein klar definiertes analytisches Instrumentarium herausarbeitet, das wohl auch von anderen Forschern gewinnbringend verwendet werden kann, hinterlässt der Beitrag von Igor Eberhard den Eindruck, dass vor allem längere Zitate kommentiert und die Themen additiv und ohne weitergehende theoretisch-kritische Metareflexion aneinandergereiht werden – was schade ist, denn das Motiv des Nordens hat großes Potenzial und Martin reiht sich in eine altehrwürdige Tradition ein, die in jüngerer Zeit durch Philip Pullmans His Dark Materials-Trilogie wieder ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gelangte.
Das Thema »Religion und Mythos« verbindet die vier Aufsätze der dritten Sektion. Vater und Sohn Frenschkowski bieten in ihren Beiträgen jeweils einen Rundgang durch die Weltreligionen und Mythologien zu den Themen Feuer und Norden. Für Leser*innen, die eine erste Orientierung wünschen, sind solche ›enzyklopädischen‹ Aufsätze vielleicht von Interesse, aber alle, die eine weitergehende und vertiefte Analyse der Motive und Themen im Werk Martins erwarten, werden enttäuscht sein. Wesentlich ertragreicher ist Rainer Emigs Überblicksaufsatz, der klar auf die Charakterisierung und die Darstellung der Funktion der unterschiedlichen Religionen in Martins Werk fokussiert ist und als eine sehr gute erste Einführung zur Thematik dienen kann. Einen ersten Höhepunkt des Bandes bietet Johannes Rüsters sowohl witzig geschriebener wie auch fundiert argumentierender Artikel, der die Funktionen der Religionen in der Alltagswelt mit ihren entsprechenden Gegenparts in Martins Welt vergleicht und dadurch den Leser*innen ein tieferes Verständnis für deren Wirken verschafft. Es sind solche Aufsätze, die die Wissenschaft weiterbringen und gleichzeitig intellektuelles Vergnügen bereiten.
Auf Religion folgt Gender – eine Kategorie, die in keinem wissenschaftlichen Sammelband fehlen darf. Und auch wenn Martin betont, dass Frauen für ihn in erster Linie Menschen sind, so weiß er doch genau, dass die Genderrollen ein wichtiges Instrument im Werkzeugkasten eines Autors darstellen. Die Herausgeber des Bandes verwenden Gender in einer weitreichenden Bedeutung, so dass auch Kategorien wie ›Bastarde und Barbaren‹ darunter zu verstehen sind. Der Essay von Hans Richard Brittnacher ist ein wichtiger Beitrag zur Erforschung der ethischen Dimension von Martins Werk, denn er zeigt auf, wie die Vertreter eines third space (Bastarde) bzw. die durch ihre Zivilisationsferne charakterisierten Barbaren eine wichtige Funktion in der Dekonstruktion des moralisch dekadenten Westeros spielen und zu Hoffnungsträgern für eine bessere Welt werden. Corinna Dörrich bietet in ihrem sehr lesbaren Artikel nicht nur eine kenntnisreiche und differenzierte Analyse des Rittertums in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen sowie deren Einbettung in die unterschiedlichen Kulturen der bekannten Welt, sondern verknüpft diese auch mit dem jeweiligen Geschlechterdiskurs. Einen ›klassisch genderdiskursiven‹ Ansatz findet sich eigentlich nur im dritten Aufsatz der Sektion, in dem Felix Schröter die Darstellung der Frauen in vier jeweils unterschiedlichen Kategorien zuzurechnenden GAME-OF-THRONES-Computerspielen untersucht.
Fragen der Ethik, Moral und der Politik kamen zwar bereits bei anderer Gelegenheit zur Sprache, stehen nun aber in den drei Beiträgen zur fünften Sektion im Mittelpunkt. Michael Baumann verwendet in seinem sehr lesenswerten Aufsatz Max Webers Konzept der verschiedenen Formen der Macht und Herrschaft um zuerst einen Überblick über die in A Song of Ice and Fire anzutreffenden Formen rationaler (Maesters), traditionaler (Lords) und charismatischer (z.B. Daenerys) Herrschaft zu geben. In einem zweiten Schritt zeigt er auf, wie sich die Modelle von rationaler und traditionaler Herrschaft in Form der Maesters und Lords ergänzen und gegenseitig stabilisieren, wie nun aber dieses Gefüge durch die charismatische Daenerys bedroht wird. Ebenfalls mit Herrschaftsstrukturen beschäftigt sich die gelungene politik-wissenschaftliche Analyse von Peter Seyferth, der die verschiedenen Formen der Herrschaftsausübung in Westeros mit Hilfe realweltlicher Theorien des politischen Realismus (Machiavelli) analysiert. Machiavelli scheint bei den sich mit Martins Werk beschäftigenden Politikwissenschaftlern und Philosophen sehr beliebt zu sein, da auch mehrere Beiträge im Band GAME OF THRONES and Philosophy (2012), der von Seyferth rezipiert wurde, Machiavelli als Ausgangspunkt nehmen. Christoph Petersen liefert mit seiner Interpretation der drei Drachen als Inkarnationen des durch Hobbes’ Leviathan abstrahierten Herrschaftspotenzials eine anspruchsvolle Deutung dieser faszinierenden Wesen und arbeitet auch die soteriologischen Bezüge der Figur Daenerys mit ihren drei Drachen gut heraus.
Etwas beliebig scheint mir die sechste Sektion, die Beiträge zur Funktion von Darstellungen der Sexualität, dem Fechten als Strukturelement, und der Filmmusik vereint. Am besten ignoriert man in diesem Fall die ›Sektionszuordnung‹ und liest jeden der Texte für sich. Robert Baumgartner liefert eine sachlich fundierte und erfrischend unideologische Analyse der Rolle und Funktion von Sexualität und ihrer Darstellung in A Song of Ice and Fire. Er zeigt schlüssig auf, wie in Martins Büchern Sexualität nie nur als ›Ornament‹ verwendet wird, sondern immer Teil einer Kultur bzw. Machtstruktur ist und dem Leser wichtige Informationen über die Protagonisten vermittelt. Als Reenactment-Veteran hatte ich gewisse Erwartungen an Matthias Langenbahns Aufsatz über das Fechten. Nun skizziert er als Fachmann zwar kompetent die historische Entwicklung der realweltlichen (europäischen) Fechtkunst seit dem 14. Jahrhundert und zieht Parallelen zu den unterschiedlichen ›Stilen‹ in A Song of Ice and Fire, doch fand ich den Stil der Sprache des Aufsatzes allzu jargonlastig und unnötig kompliziert. Versöhnlicher stimmte mich dann wieder Christian Wengs auch für Musik-Laien klar verständlich formulierte und gut strukturierte Einführung zu den unterschiedlichen Funktionen der Filmmusik, die anhand von zwei konkreten Beispielen (»Main Title«, d. h. die Eröffnungsmelodie der Serie, und »Stand and Fight«) illustriert werden.
Rätsel im weitesten Sinne des Wortes sowie meist nicht sehr genaue und somit ›rätselhafte‹ Prophezeiungen spielen eine wichtige Rolle in A Song of Ice and Fire – und, wie man auf den zahlreichen Blogs und Internetforen sehen kann, sie regen die Fantasie und detektivische Kombinationsgabe der Leser*innen an. Es ist deshalb begrüßenswert, dass Tobias Eder und Markus May sich in ihren Beiträgen genauer mit dem Obskuren und Übernatürlichen beschäftigen. Tobias Eder zeigt in seinem sehr gut strukturierten und stringent argumentierenden Aufsatz wie der systematische Perspektivenwechsel in Martins Texten »unzuverlässige Erzähler« erschafft und die Unschlüssigkeit zum Kernstück der Faszination macht. Dabei steht der »rationale Kern« von Westeros in Opposition zu den übernatürlichen Elementen, die im Verlauf der Geschichte immer mehr vom »Rand« eindringen, so dass wir eine Kombination von »immersiver« und »intrusiver« Fantasy haben (um Farah Mendlesohns Begrifflichkeit zu verwenden). Diese Ambiguität ist auch das Thema von Mays Beitrag, der exemplarisch die Prophezeiung untersucht, die Cersei ihre Zukunft vorhersagt (»A Feast for Crows«). May zeigt sehr schön die Funktion solcher Elemente innerhalb der Erzählstruktur und ihre Verwendung zur Leserlenkung auf.
Die finale Sektion vereinigt vier Aufsätze, die zwar sehr unterschiedliche Themen behandeln, jedoch alle den Medienwechsel und dessen Auswirkungen untersuchen. Franziska Ascher bietet eine interessante, theoretisch unterfütterte Reflexion über Computerspiel-Adaptionen und deren Genre-Anforderungen sowie den daraus resultierenden Problemen und Chancen. Maria Kutscherow vergleicht die Darstellung von Kindern und Jugendlichen in Buch und Film und zeigt auf, wie die von Martin in den Büchern verwendete, sich stark an mittelalterlichen Vorbildern orientie-rende Charakterisierung aus kulturspezifischen Gründen und zur Vermeidung von Tabuverletzungen (hier Sex mit Minderjährigen) verändert und mögliche Probleme durch Besetzung der Rollen mit teilweise wesentlich älteren Schauspielerinnen vermieden werden. Das oftmals kontrovers diskutierte Thema der Darstellung von Nacktheit und Sexualität in der HBO-Serie ist dann auch das Thema von Simon Spiegels Aufsatz. Leider konnte er nicht die auch 2016 erschienenen Aufsätze im Band von Gjelsvik und Schubart rezipieren (insbesondere die Texte von Mariah Larsson und Stéphanie Genz wären sehr relevant), aber auch so gelingt es ihm differenziert argumentierend aufzuzeigen, wie HBO diese Elemente reflektierter, weitreichender und raffinierter einsetzt, als es in Kinofilmen oder in öffentlichen Fernsehkanälen möglich ist. Den Abschluss bildet Tobias Unterhubers interessanter Aufsatz, der sich mit den Auswirkungen des Medienwechsels im Rahmen der Interaktion zwischen Subkultur und Mainstream widmet.
Wie hoffentlich aus der Besprechung der einzelnen Beiträge ersichtlich wurde, ist der Band eine sehr lesenswerte Publikation zu A Song of Ice and Fire. Auch wenn vereinzelte Aufsätze nicht immer ganz überzeugen konnten, so ist die durchschnit-tliche Qualität hoch und die Herausgeber haben eine so abwechslungsreiche wie thematisch breit gestreute Kollektion vorgelegt, die in der deutschsprachigen Publikationslandschaft konkurrenzlos dasteht. Vor allem lobend zu erwähnen sind die zahlreichen Beiträge, die theoretische Ansätze gekonnt mit einer kenntnis-reichen Interpretation von Martins Epos verknüpfen und so dem Leser neue Horizonte eröffnen.
Der Wechsel zum Englischen im zweiten zu besprechenden Band bedeutet keinen Paradigmenwechsel – obwohl eine allerdings mehr theoretische als praktische Verengung des Blickwinkels auf Frauen eintritt. In ihrer Einleitung definieren die beiden Herausgeberinnen zuerst zentrale Begriffe (wie »transmedia GoT universe«) bevor sie sich dann der Aufgabe stellen, die Fokussierung auf Frauengestalten durch die quantitative Präsenz weiblicher POV-Erzählerinnen zu legitimieren und gleichzeitig auch die qualitative wichtige Rolle der Frauen zu betonen. Darüber hinaus skizzieren sie den wissenschaftlichen Diskurs, der für die nachfolgenden Beiträge den theoretischen Rahmen bildet und verankern ihren Ansatz im Feld der transmedia studies. So ist es denn keine Überraschung, dass der erste Aufsatz von Mariah Larsson gleich eines der in der Publikumswahrnehmung zentralen Themen behandelt: Liebe und Sex. Larsson zeigt auf, wie und aus welchen Gründen die TV-Adaptionen von der Buchvorlage abweichen. Larssons luzid geschriebener Beitrag verhält sich in vielen Punkten komplementär zu Simon Spiegels Aufsatz zum gleichen Thema im Band von May et al. und so verwundert es nicht, dass beide im Falle von Daenerys’ Verhältnis zu Khal Drogo zu sehr ähnlichen Schlussfolgerungen gelangen. Das sich an Larsson anschließende Kapitel von Shannon Wells-Lassagne führt die Diskussion um die Figur von Talisa Maegyr weiter. Die an und für sich korrekte jedoch ansonsten wei-testgehend eindimensionale Argumentation zeigt auf, wie Talisa und die Prostituierte Ros für die TV Serie neu erschaffen wurden. Dies geschieht, um die »kleinen Leute« (»smallfolk«) besser zu repräsentieren, da sie ansonsten unter den POV-Charakteren kaum vertreten sind. Anne Gjelsvik untersucht die Darstellung von Fällen sexueller Gewalt, die von Vergewaltigung (z. B. Jaimes Vergewaltigung seiner Schwester Cersei in der TV Serie) bis zur Kastration (Theon Greyjoy) reichen und zeigt auf, dass in der filmischen Umsetzung oftmals eine Schwächung der weiblichen Protagonisten sowie eine Sexualisierung der Folter stattfindet. Gjelsviks Argumentation ist zwar in sich schlüssig, ich möchte aber anmerken, dass im Falle von Theon Greyjoys ›Verführung‹ durch die beiden Frauen im Verlies wohl auch Szenen wie die Verführung Jonathan Harkers durch die Vampirinnen auf Schloss Dracula Pate standen. Dies ist ein Beispiel, das aufzeigt, dass sich die Beweggründe für Veränderungen der Textvorlage aus unterschiedlichsten Quellen speisen können. »Veränderungen«, aber diesmal von weiblichen Figuren, ist das Thema von Felix Schröters Aufsatz zur Darstellung und Funktion der weiblichen Figuren in GAME OF THRONES-basierten Computerspielen. Die Studie ist weitgehend deckungsgleich mit seinem Beitrag zum Band von May et al., und es ist erfreulich zu sehen, dass zumindest einer der deutschen Beiträge den ›Sprachgraben‹ überwunden hat. Rikke Schubart gelingt es mit Hilfe verschiedener interpretatorischer Deutungsmuster, wie sie z. B. auf das klassische Märchen angewendet werden, die schillernde Figur Daenerys genauer zu fassen und ihre Individualität auf dem Hintergrund des »märchenhaften« Diskurses und dessen Brechungen genauer zu beleuchten. So ist Daenerys nicht ein stereotyper Drachentöter, sondern im Gegenteil eine »Drachenschöpferin«; insgesamt ein spannend zu lesender Aufsatz. Der Beitrag von Helle Kannik Haastrup beginnt mit einer allgemeinen Diskussion der Gattungszugehörigkeit von Martins Werk, bevor dann das Schicksal der weiblichen Protagonisten (Cersei, Daenerys, Arya) in der Episode THE CHILDREN (Staffel 4) detailliert untersucht wird. Zu Recht weist Haastrup darauf hin, dass wir es mit einer hybriden Textgattung zu tun haben, die zwar hauptsächlich den Konventionen der High Fantasy folgt, jedoch auch Elemente der Gattungen »adventure«, »soap opera«, »romance«, »horror« und »mystery« beinhaltet.
Die Untersuchung des Motivs der Mutterschaft durch Marta Eidsvåg ist so klar wie überzeugend präsentiert. Der allgemeine theoretische Teil, in dem Eidsvåg die unterschiedlichen Muttertypen vorstellt, wird von einem textbasieren Analyseteil gefolgt, der die konkreten Beweise für die Argumentation liefert. So gelingt es Eidsvåg gut verständlich zu zeigen, wie HBO die beiden zentralen Mutterfiguren (Catelyn und Cersei) den Mainstream-Erwartungen anpasst und diese näher an die archetypischen Vorbilder rückt, indem nicht ins Bild passende Eigenschaften und Handlungen ausgeblendet bzw. nicht in das Medium Film übertragen werden. Yvonne Tasker und Lindsay Steenberg untersuchen in ihrem theoretisch abgestützten, klar strukturierten und anregenden Text, wie die weiblichen Kriegerinnenfiguren unterschiedliche, oftmals komplexe Funktionen haben. So ist Brienne der anachronistische Ritter, Arya der klassische Wildfang, und Daenerys eine messianische Mutterfigur. Gleichzeitig kommt es jedoch zur Variation bzw. Subversion von klassischen Tropen. So wird z.B. das typische höfische Liebesverhältnis in der Beziehung zwischen Ser Jorah und Daenerys variiert bzw. erlebt im Verhältnis zwischen Brienne und dem homosexuellen Renly Baratheon eine bisher unbekannte neue Ausformung. Elizabeth Beaton beschränkt sich auf drei weibliche »Machiavelli-Figuren« (Asha Greyjoy, Cersei, Daenerys) und unterscheidet sich damit in ihrem Ansatz von Peter Seyferth, der in seinem Beitrag in May et al. mit den realweltlichen Theorien des politischen Realismus (Machiavelli) die verschiedenen Formen der Herrschaftsausübung in Westeros analysierte. Beaton charakterisiert die weiblichen Machiavelli-Figuren hauptsächlichen nach deren Betätigungsfeldern und diskutiert im Detail den »mi-litärischen Machiavellisten« (Asha), den »höfischen Machiavellisten« (Cersei) und die »machiavellistische Führerfigur« (»The Machiavellian Prince«, Daenerys). In thematisches Neuland führt uns Susana Tosca und Lisbeth Klastrups Diskussion der weiblichen Expertinnen des »Youtube Fan Recap Genre« – nota bene ein Genre, das die Autorinnen als erste benennen und als »contemporary form of cultural journalism« (222) beschreiben. Anhand von drei ausgewählten Beispielen zeigen sie auf, welche Vermittlungsstrategien angewandt werden und inwiefern die Tatsache, dass die Präsentatorinnen Frauen sind, eine Rolle spielt. Mit dem Schlusskapitel von Stéphanie Genz, das eine Analyse der im GAME OF THRONES gezeigten schonungslosen Verknüpfung von sexueller Gewalt und den in der bekannten Welt existierenden Herrschaftsstrukturen vornimmt, kehren wir wieder zu den Themen am Anfang des Buches zurück. Genz’ Beitrag ist zwar »Ideologie zentriert« und vernachlässigt deshalb wohl auch gewisse Dinge (z. B. dass die Unbefleckten Prostituierte aufsuchen, um von ihnen einfach nur Wärme und Zuwendung zu erhalten), gibt jedoch innerhalb der Parameter einer feministischen Kritik eine überzeugende Analyse des Phänomens GAME OF THRONES. Zu Recht weist Genz darauf hin, dass sich das kritische Potenzial der Serie nicht nach außen richtet und deshalb Gefahr läuft, sich in selbstverliebter Selbstreferenz zu erschöpfen.
Insgesamt ist die (selektive) Lektüre beider Bände interessierten Leser*innen sehr zu empfehlen. Im Gegensatz zu den eher populärwissenschaftlich ausgerichteten Veröffentlichungen zum Thema sind alle Beiträge gut recherchiert und genügen den Mindestanforderungen an eine wissenschaftliche Publikation. Sie reihen sich somit in die wachsende Zahl von akademisch ausgerichteten kultur- und literaturwissenschaftlichen Studien und Sammelbänden zu Martins Werk ein, wie beispielsweise Jes Battis and Susan Johnstons Mastering the Game of Thrones (2015) oder Valerie Estelle Frankels Women in GAME OF THRONES (2014). Damit ergänzen und vertiefen sie die ›mediävistische‹ Interpretation, wie sie z. B. durch Carolyne Larringtons Winter Is Coming: The Medieval World of GAME OF THRONES (2016) oder Bartlomiej Blaszkiewicz’ George R. R. Martin’s »A Song of Ice and Fire« and the Medieval Literary Tradition (2014) etabliert wurde, und tragen zu einer lebendigen und akademisch hochstehen-den Diskurskultur über A Song of Ice and Fire bzw. der TV-Serie GAME OF THRONES bei.
Autor
Thomas Honegger promovierte und habilitierte im Fach Englische Philologie an der Universität Zürich. Seit 2002 ist er Professor für anglistische Mediävistik an der Friedrich-Schiller Universität Jena. Homepage: http://www.iaa.unijena.de/Institut/Mitarbeiter%2bAinnen/Honegger_+Thomas-p-228.html.
Konkurrierende Interessen
Der Autor hat keine konkurrierenden Interessen zu erklären.
References
Battis Jes and Johnston Susan (2015) Mastering the Game of Thrones: Essays on George R. R. Martin’s »A Song of Ice and Fire«, McFarland
Blaszkiewicz Bartlomiej (2014) George R. R. Martin’s »A Song of Ice and Fire« and the Medieval Literary Tradition, WUW
Frankel Valerie Estelle (2014) Women in GAME OF THRONES: Power, Conformity and Resistance, McFarland
Gjelsvik Anne and Schubart Rikke (2016) Women of Ice and Fire: Gender, GAME OF THRONES, and Multiple Media Management, Bloomsbury
Jacoby Henry (2014) GAME OF THRONES and Philosophy: Logic Cuts Deeper than Swords, Wiley
Larrington Carolyne (2016) Winter Is Coming: The Medieval World of GAME OF THRONES, I. B. Tauris