KC Greens Comic-Strip »On Fire« (Abb. 1) wird gern herangezogen, um unsere Reaktion auf die Klimakatastrophe zu beschreiben und das sture Festhalten an bewährten Mustern und Traditionen. Aber sind wir wirklich so ignorant, in einem brennenden Raum sitzen zu bleiben und unseren morgendlichen Kaffee zu trinken, statt uns vor dem kommenden Inferno zu retten? Gibt es keine Anzeichen einer ›Awareness‹ für unsere Situation? Warten wir einfach ab, bis uns die Haut vom Körper schmilzt, wie es der Comic suggeriert?

Abb. 1: Zum beliebten Meme geworden: KC Greens Cartoon

In der Einleitung zu seinem Buch The Anthropocene Unconscious (Abb. 2) stellt Mark Bould sich diese Frage ebenfalls in Hinsicht auf unsere Kulturproduktion und kommt zum lakonischen Schluss: man müsse schon wesentliche Teile unserer Buchregale in den Bereichen »Wissenschaft«, »Politik« und »Science Fiction« einfach wegwerfen, um nicht über massenhaft Warnungen vor der Katastrophe zu stolpern (13). Die Auseinandersetzung mit der Klimakatastrophe finde schon länger und nahezu omnipräsent statt, sichtbar im Denken über den Menschen und seinen geologischen Fußabdruck: dem Anthropozän. Eine Wendung mehr braucht es aber noch, denn das Anthropozän, so Bould, »is the unconscious of ›the art and literature of our time‹« (15) – er meint damit, dass wir den Effekt, den wir auf die Welt haben, lieber nicht sehen wollen und ihn unterdrücken. Dass sich das Feuer um uns herum in Leerstellen unserer Kultur spiegelt, in kleinen Ausrutschern, in Umschreibungen, in nicht aufzulösenden Widersprüchen: »an eloquent jive of demurral, equivocation, circumvention, slippage, contradiction« (16). Boulds Buch ist eine Untersuchung genau dieser Widersprüche, die er in allen Registern der Kultur aufzuspüren vermag. Angelehnt an der Methode eines queer readings nimmt er sich eine Vielzahl an Texten vor – vom Avantgarde-Film zum B-Movie-Trash, von der Hochliteratur bis zum Comic – und beginnt ein anthropocene reading.

Abb. 2: The Anthropocene Unconscious 

So liest Bould beispielsweise die Sharknado-Filme als groteske Ablenkungsversuche voller nostalgischer Anspielungen an vergangene Kulturproduktionen und Auftritte bekannter, aber längst im Medienkarussell wieder versunkener Stars, deren ›Over-the-Top‹-Charakter dennoch nicht verhindern kann, unbewusst auf das Anthropozän hinzuweisen. Die namensgebenden Hai-Tornados selbst »are big dumb reminders that we share the world with other species« und dass wir (die Menschen) nur in einem Bruchteil der Erdentwicklung zu finden sind, gerade weil diese Welt nur jetzt stabil genug ist, um von uns bewohnt zu werden. Was die Reihe auszeichnet, ist spezifisch der Bruch von Fiktion und Realität, ausgelöst durch die einerseits billigen bis schlechten CGI-Effekte und andererseits die Vielzahl von Stock-Footage-Einspielern aus Newssendungen. Durch den offensichtlichen Bruch mit der diegetischen Kohärenz der Fiktion übersteigerten die Filme aber den Realitätseffekt der News-Clips, die ja auf reale Naturkatastrophen verweisen. Die Wucht der Ablenkung kann hier also nicht überdecken, dass die Filme sehr wohl auf eine reale Katastrophe und ein reales Monster referieren.

Und so arbeitet sich Bould durch eine Vielzahl (teils anekdotisch-kurzer) Analysen. Hier nur einige wenige Beispiele: 1. Zombies in Max Brooks World War Z (2006), die als Repräsentation von durch den Klimawandel vertriebener Migranten gelten können. Ein Roman, der klar aufzeigt, wie groß Verdrängung und mangelnde Bereitschaft zur Anerkennung der Fluchtursache sind. 2. Die klassische novel – von Austen bis Auster – als Form der selbstherrlichen Nabelschau, die sich eben nicht für die realen politischen Probleme der Welt interessiert, sondern nur für die bequeme, bourgeoise Selbstanalyse ihrer Helden: »For all its brilliance, 4 3 2 1 is the tired sound of boomers justifying to themselves their ruination of the world« (41). 3. Der chinesische Avantgarde-Film Still Life (CN 2006, Regie: Jia Zhangke), der die Macht des menschlichen (oder doch besser kapitalistischen) Expansionswillen aufzeigt, in dem er den Abbau einer Stadt in China zeigt. Die Erschaffung eines Stausees so groß, dass er »ever so slightly the Earth’s rotation« (86) verändern wird – der Film wird zur Repräsentation der Veränderung, des Instabilen, des Hereinbrechens. In der Zukunft der Filmstadt wird kein Mensch mehr existieren und die Flut, die alles wegspülen wird, ist nicht nur sinnbildlich schon jetzt spürbar: »they know what is coming. Dislocated, uncertain, they are already-drowned« (88). 4. Und schließlich Comic-Figuren, die auf eine andere lebendige Welt verweisen, die uns Menschen verschlossen bleibt, wenn wir uns nicht als Teil von ihr sehen: Swamp-Thing, Man-Thing, Groot. Die Manifestation pflanzlichen bios, die zwar sprachlos ist, aber dennoch nicht überhört werden kann.

Bould ist in seinen Analysen nicht so sehr an präziser Theorieumgrenzung interessiert und richtet sich auch nicht an die hohe Wissenschaft. Weniger Fredric Jameson und mehr Marc Fisher oder China Miéville, wie auch schon die Publikation bei Verso und eben nicht bei Oxford UP signalisiert. Bould liefert eine knisternde und teils rotzige Sprache, durchzogen von ironischen Kommentaren und unterfüttert mit einem enormen Wissen um die Vielseitigkeit der heutigen (Pop-)Kultur. Die Aussage, wir würden in fast allen Aspekten unserer heutigen Kulturproduktion das Anthropozän – und speziell den Klimawandel – thematisieren, selbst wenn wir dies nicht bewusst so wahrnehmen, ist aber eine unglaublich wichtige Botschaft. Nicht zuletzt, weil Boulds Sprache sich nicht hinter der akademischen Distanz versteckt und lieber sarkastisch und anklagend ist, dürfte das Buch eine größere Leserschaft finden als so manches rigoros durchdeklinierte Werk über die literarische Leistung von Climate Fiction. Und so ist es wohl passend, dass Bould ausgerechnet die Fast-and-Furious-Reihe an das Ende seiner Überlegungen stellt. Denn die realen Autos der Reihe, die nur noch dank CGI zu ihren physik-negierenden Stunts in der Lage sind, zeigen deutlich auf, dass die Zeit der Fantasie, des sich Vorstellens, die Welt würde sich nicht radikal in einen heißen Feuerball verwandeln, vorbei sind. Unsere Kultur führt uns schon lange vor, dass wir tief in unserem Hinterkopf wissen, was passiert. Es wird also Zeit, dass wir das auch anerkennen und uns dem Unbewussten stellen. Sonst enden wir wohlmöglich wie Greens kleiner Hund (Abb. 3).

Abb. 3: Das bittere Ende

Autor

Dr. Lars Schmeink war als Kultur- und Medienwissenschaftler an einer Reihe von Universitäten tätig, erforschte dort vor allem die Schnittmenge von Popkultur und Gesellschaft, speziell Zukunftstechnologien und deren kulturelle Repräsentation in der Science Fiction. Er hatte Gastprofessuren an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, der University of Cincinatti, und der University of Leeds. Er war knapp zehn Jahre lang Erster Vorsitzender der Gesellschaft für Fantastikforschung. Seit 2023 ist er in die Zukunftsforschung gewechselt und arbeitet am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) an der Zukunft der Mobilität.

Konkurrierende Interessen

Der Autor hat keine konkurrierenden Interessen zu erklären.

Filmographie

Still Life. Regie: Jia Zhangke. CN 2006.

Zitierte Werke

Brooks, Max. World War Z: An Oral History of the Zombie War. Crown, 2006.

Green, K.C. »On Fire«, Gunshow, 1. Sept. 2013, gunshowcomic.com/648.