Science-Fiction-Filme sind gefährlich – und sie werden immer gefährlicher. So lautet die von den Herausgebern aufgestellte Generalthese des Sammelbandes Endangering Science Fiction Film. Sie dient den in ihm versammelten Beiträgen als metaphorische Klammer für ihre unterschiedlichen Herangehensweisen an prägende Merkmale, historische Entwicklungen und zeitgenössische Tendenzen des Genres. Die rekrutierten Autorinnen und Autoren übernehmen die titelgebende Metaphorik, und so lassen sich ihre Beiträge im Sinne einer übergreifenden Heuristik als Sondierungen der Gefahren- bzw. Gefährdungspotenziale filmischer Science Fiction lesen. Daher, so die vollmundige Behauptung der Herausgeber, sei auch das vorliegende Buch selbst »full of danger« (8).
Was aber soll am Science-Fiction-Film so gefährlich sein, und wer oder was genau wird durch das Genre – ganz zu schweigen von seiner kritischen Reflexion – gefährdet? In ihrer Einleitung skizzieren Sean Redmond und Leon Marvell vier Felder, auf denen Science-Fiction-Filme ihrem Publikum und der Gesellschaft gefährlich werden können: Zum einen stellen die in ihnen entworfenen alternativen Welten die in unserer herrschenden Ordnungen und Gesetze in Frage, machen deren Selbstverständlichkeit porös und eröffnen dadurch neue Perspektiven auf die real existierenden Verhältnisse. Damit verbunden ist, zweitens, die Auflösung hergebrachter Zeit- und Raumvorstellungen, die insbesondere unter Rückgriff auf Visual Effects zu offenen Raumzeit-Konfigurationen bis hin zur vollständigen Verflüssigung linearer und euklidischer Modelle führen. Drittens destabilisieren Science-Fiction-Filme durch permanente Dekonstruktion und Rekonstruktion die ontologische Integrität des (menschlichen) Körpers. Dabei bringen sie einerseits immer neue Formen von Identität hervor, begrenzen dieses befreiende Potenzial jedoch andererseits mit dystopischen Szenarien der unfreiwilligen virtuellen und bionischen Optimierung. Nicht zuletzt thematisiert das Genre qua Extrapolation in die Zukunft zuweilen ganz explizit gefährliches Gedankengut. Dabei kann es sich um gesellschaftlich tabuisierte Ideen der politischen Kritik, aber auch um überzeichnete Exzesse dominanter (z. B. militaristischer oder kapitalistischer) Ideologien handeln. Aus der Schnittmenge der vier Bereiche, mit denen zugleich Kernaspekte des Genres paradigmatisch abgesteckt werden, leitet sich für die Herausgeber zwingend eine dialektische Sichtweise auf dessen ästhetische Dynamiken und gesellschaftliche Funktionen ab: »The danger of science fiction film is to be both celebrated and challenged. This is one of the key narrative threads of this edited book – to critically understand and explore how science fiction film engages with, produces, and is a product of endangerment« (5).
Die Struktur des Buches orientiert sich an den vier genannten Aspekten, ohne sie direkt widerzuspiegeln. Eine erste Sektion richtet philosophische Fragen an das Genre, wobei Philosophie als Platzhalter für ein weites Reflexionsspektrum fungiert, das von soziologischen Überlegungen bis hin zu wahrnehmungstheoretischen Ansätzen und politischen Lektüren reicht. Im Anschluss an Adorno liest Douglas Kellner 2001: A SPACE ODYSSEY (US/GB 1968, Regie: Stanley Kubrick) als spätmodernistische Allegorie einer von der Kultur des Kalten Krieges befeuerten Technophobie. Wie ein Prisma nehme der Film gesellschaftlich virulente Ängste und Muster der moralischen Verunsicherung in sich auf, um sie kaleidoskopisch in eine Vielzahl von Facetten zu zerlegen, in der die Ängste nicht zerstreut, sondern multipliziert werden. Sean Redmond unternimmt unter Einsatz von Eye-Tracking-Software den Versuch, für genretypische Spektakelszenen entlang distinkter Zuschauerblickregime die beiden Rezeptionskategorien der sublimen Kontemplation und der sublimen Kommodifikation (33 f.) zu unterscheiden. Als Beispiel für den ersten Modus dient die »Star-Bomb«-Sequenz in SUNSHINE (US/GB 2007, Regie: Danny Boyle), der zweite Modus wird mit der Verfolgungssequenz aus GODZILLA (US 1998, Regie: Roland Emmerich) belegt. So versiert die Herleitung der Kategorie des Erhabenen und ihre Ausdifferenzierung in zwei unterschiedliche Modi der Spektakelwahrnehmung theoretisch auch durchgeführt werden, mit Blick auf die schmale Materialbasis der Analyse ist zweifelhaft, wie belastbar und repräsentativ die erzielten Erkenntnisse sein können, beruhen Redmonds Ergebnisse doch auf Eye-Tracking-Auswertungen einer kleinen Gruppe von Proband*innen, die anhand von lediglich zwei Sequenzen durchgeführt wurden. Umgekehrt lässt sich fragen, ob die Resultate den empirischen Aufwand überhaupt rechtfertigen oder nicht ebenso mit den Mitteln einer klassisch hermeneutischen oder affektpoetischen Filmanalyse hätten erzielt werden können. Zumal Sean Cubitts unmittelbar folgender Beitrag zur Dialektik des Erhabenen in den beiden post-apokalyptischen Filmen SERENITY (US 2005, Regie: Joss Whedon) und CHILDREN OF MEN (US/GB 2006, Regie: Alfonso Cuarón) mit herkömmlichen filmanalytischen Methoden nicht minder plausible Antworten auf die Frage findet, inwiefern Science-Fiction-Filme aus den sozio-politischen ›Fesseln der Gegenwart‹ (51) zu befreien vermögen. Abgeschlossen wird die erste Sektion von Sherryl Vints an Foucault orientierter Diskussion von MONSTERS (GB 2010, Regie: Gareth Edwards) und WORLD WAR Z (US 2013, Regie: Marc Forster), deren unterschiedliche Biopolitiken diskursanalytisch auf der Folie von 9/11 und dem »War against Terror« herausgearbeitet werden:
In its power to reveal that the killing of liberal biopolitics is part of the system for producing a certain and limited kind of human, and in its vision of another kind of posthumanism possibility, Monsters demonstrates how sf can challenge dangerously complicity narratives such as World War Z and envision exciting new modes of life beyond the dangerous biopolitics of our present. (78)
Die Beiträge der zweiten Sektion rücken ästhetische und erzählerische Merkmale ins Zentrum ihrer Betrachtungen und nehmen dabei viele Fäden der vorhergehenden Sektion wieder auf. Deborah Knight und George McKnight widmen sich der transgenerischen Ausrichtung einer Reihe neuerer Hollywood-Produktionen, die Konventionen anderer Genres in die Science Fiction überführen und vorhandene Vorstellungen von Zeit, Erinnerung und Identität dadurch zwar nachhaltig irritieren, jedoch kaum einmal an den mitimportieren Moralvorstellungen rütteln. Diesem am Beispiel u. a. von MINORITY REPORT (US 2002, Regie: Steven Spielberg), ETERNAL SUNSHINE OF THE SPOTLESS MIND (US 2004, Regie: Michel Gondry) und INCEPTION (US/GB 2010, Regie: Christopher Nolan) gemachten, ideologisch eher ernüchternden Befund stellt Barry Keith Grant in seinem Beitrag eine Legion früherer Beispiele entgegen, die von AELITA (SU 1924, Regie: Jakow Protasanow) über ALPHAVILLE – UNE éTRANGE AVENTURE DE LEMMY CAUTION (FR/IT 1965, Regie: Jean-Luc Godard) bis zu VIDEODROME (CA 1983, Regie: David Cronenberg) und STRANGE DAYS (US 1995, Regie: Kathryn Bigelow) reicht und für das ungebrochene Potenzial des Genres geltend gemacht wird, dem (kommerziellen) Erzählkino und seinem Publikum mit Mitteln der »cognitive estrangement« (105), der narrativen Ambivalenz und medialen Selbstreflexion weiterhin wichtige Wahrnehmungshorizonte experimentell zu erschließen. In eine ähnliche Richtung argumentiert anschließend auch Andrew M. Butler, wenn er u. a. in MONSTERS, AVATAR (US/GB 2009, Regie: James Cameron) und GRAVITY (US/GB 2013, Regie: Alfonso Cuarón) dem subversiven Potenzial Brecht’scher Verfremdungseffekte nachspürt und sie ausgerechnet in den Erhabenheitswirkungen spezialeffektgenerierter Spektakelmomente entdeckt. Wie quer Andrej Tarkowskijs SOLARIS (SU 1972) ästhetisch nicht nur zu gängigen Verfremdungs- und Spektakeleffekten, sondern im Science-Fiction-Genre insgesamt steht, erörtert Marvell im Abgleich des Films mit Stanislaw Lems literarischer Vorlage.
Die drei Beiträge der dritten Sektion ziehen in ihrer Konzentration auf die Darstellung von Raum und Zeit den analytischen Fokus nochmals enger. Mariano Paz löst Gustavo Mosqueras LO QUE VENDRÁ (WAS WIRD KOMMEN?, AR 1988) und MOEBIUS (AR 1996) aus einem die kritischen Diskussion beider Filme bisher dominierenden politischen Deutungszusammenhang, der sie als Kommentare auf die Zeit der argentinischen Militärdiktatur (1976–1983) rückbezieht. Mit Bachtin liest Paz ihre konkreten Formen der Chronotopie vielmehr als Allegorien eines neoliberalen Kapitalismus, der in Argentinien seit der Zeit, in der die Filme hergestellt wurden, herrscht. Alan Woolfolk schließt in seinem Beitrag an eine lange Tradition der kulturtheoretischen Reflexion der Science Fiction an, die in dem Genre primär eine Kritik am Fortschrittsglauben der Aufklärung erkennt. In diesem Zusammenhang macht Woolfolk einen entscheidenden Umschlagpunkt im Übergang von modernistischen zu postmodernen Ausprägungen des Genres aus. Wie er am Beispiel von ALIEN (US/GB 1979, Regie: Ridley Scott), BLADE RUNNER (US/GB 1982, Regie: Ridley Scott), THE MATRIX (US 1999, Regie: Andy und Larry Wachowski) und DISTRICT 9 (NZ/US/ZA 2009, Regie: Peter Blomkamp) ausführt, verschiebt sich seit den 1970er-Jahren der Schwerpunkt von einer Einbildungskraft, welche die Katastrophe als ein von außen in die Welt einbrechendes Desaster imaginiert, hin zu Vorstellungen, welche die Gefährdung aufklärerischen Gedankenguts in die Innenwelt der Psyche verlagern. An den gewählten Beispielfilmen lässt sich diese Bewegung von äußerer Aktion zu innerer Reflexion zweifellos überzeugend darlegen. Ob sich damit aber auch gleich ein historischer Registerwechsel entlang der Unterscheidung zwischen Moderne und Postmoderne pauschal markieren lässt, bliebe in umfassenderen Studien erst noch zu überprüfen. Zum Abschluss dieser Sektion tariert Darrin Verhagen mit ihrer Würdigung des Stellenwerts, der dem Sounddesign in Filmen wie 2001: A SPACE ODYSSEY, SUNSHINE, BEYOND THE BLACK RAINBOW (CA 2010, Regie: Panos Cosmatos) und TRON: LEGACY (US 2010, Regie: Joseph Kosinski) zukommt, die ansonsten weitgehend unangefochten herrschende Privilegierung des Visuellen zumindest ansatzweise aus. Sie geht dabei davon aus, dass die genannten Filme unter Rückgriff auf evolutionär im Menschen verankerte akustische Wahrnehmungsmuster Urängste aufrufen, die (durch räumliche »authentication«) sowohl auf Bekanntes wie (durch »disorientation« im Raum) auf Unbekanntes gerichtet werden können.
Die vierte und letzte Sektion behandelt Fragen der Darstellung von Körperlichkeit im Zeichen der Marginalisierung des menschlichen Körpers durch posthumanistische Körperkonzepte. Eröffnet wird die Sektion mit einem Beitrag von Anne Cranny-Francis, der die Spiegelung von Geschlechterverhältnissen und die erotischen Dimensionen beleuchtet, wie sie als Effekt dieser Spiegelung aus Beziehungen zwischen Menschen und künstlichen Kreaturen von METROPOLIS (DE 1927, Regie: Fritz Lang) und I MARRIED A MONSTER FROM OUTER SPACE (US 1958, Regie: Gene Fowler Jr.) bis hin zu ALIEN, BLADE RUNNER und THE MATRIX hervorgehen. J. P. Telotte unterteilt die Artenvielfalt künstlicher Wesen in der filmischen Science Fiction in die drei archetypischen Kategorien des in den 1930er- und 1940er-Jahren dominant vertretenen »tin-can mechanical man«; Robotern vom Typ Robby the Robot, wie er erstmals in FORBIDDEN PLANET (US 1956, Regie: Fred M. Wilcox) in Erscheinung tritt; und menschenähnlichen, mühelos ihre Gestalt wandelnden Cyborgs, wie sie mit den TERMINATOR-Filmen und der Technik des digitalen Morphing seit Anfang der 1990er-Jahre paradigmatisch wurden. Anhand der Konstanz dieser Archetypen plädiert Telotte für ein Bewusstsein der historischen Kontinuitäten und imaginativen Beharrungskräfte des Genres, das ansonsten (auch im vorliegenden Band) gerne als ungebremste Innovationsmaschine des zumal in der digitalen Ära nahezu unbegrenzt erscheinenden kinematografischen Vorstellungsvermögens gefeiert wird. Eine Unterteilung in drei Kategorien – freilich ganz anderer Art – nimmt auch Scott Wilson im abschließenden Aufsatz des Bandes vor, mit dem er an seine 2011 erschienene Monografie The Politics of Insects anschließt. Wilson definiert drei Modi der Körperdarstellung bei Cronenberg, die tendenziell unterschiedliche Werkphasen des Regisseurs kennzeichnen, in zunehmend komplexen Mischverhältnissen jedoch das Gesamtwerk prägen. Dieser Logik zufolge wird der sexualisierte Horror-Modus von »bodies in danger« (259) im zweiten Modus des »body as danger« (261) durch ein Binnenbedrohungsverhältnis ergänzt, das Geist und Bewusstsein der Protagonisten qua Infektion oder krankhafter Veränderungen ihrer physischen Trägersubstanz existenziell gefährdet. Im dritten, »pre-ontological and post-transformative« (265) Modus affiziert die Ansteckungsgefahr als eine der medialen Übertragung über die diegetische Welt hinaus die Materialitäten filmischer Darstellung und Wahrnehmung selbst: »The key here is that the danger these enabled bodies pose is not to themselves, their fellow characters or even to the narrative; these sites of pre-ontological irruption offer a singular threat to the body of cinema itself.« (267).
In der Summe bieten die Beiträge des Buches einen umfassenden, informierten und engagiert vorgetragenen Überblick über den Stand der Forschung zum Science-Fiction-Film, seine aktuellen Schwerpunkte und zentralen Debatten. Als ein Band in der Reihe der AFI Film Readers des American Film Institute erfüllt er damit seinen Zweck, spiegelt in seiner starken Fokussierung auf weithin bekannte und viel diskutierte Hollywoodproduktionen aber auch die vermuteten Präferenzen des von ihm anvisierten US-amerikanischen Lesepublikums wider. Viele Beiträge wären dabei auch ohne die reichlich überstrapazierte Metapher der Gefahr ausgekommen. Oft rahmt sie die angestellten Überlegungen lediglich als rhetorisches Beiwerk ohne erkennbaren methodischen oder heuristischen Mehrwert. Ihr massiver Einsatz hat somit vor allem zur Folge, dass das Buch – ungeachtet der einleitend proklamierten dialektischen Perspektive – einer Gefahr über weite Strecken doch nicht ganz entgehen kann: Der Tendenz, die angesprochenen Filme vorschnell unter negative oder positive ideologische Vorzeichen zu stellen und damit einem politischen Schwarzweißbild zuzuarbeiten, das der Komplexität und dem Facettenreichtum des Genres nicht gerecht wird.
Autor
Michael Wedel, Prof. Dr., Film- und Medienwissenschaftler; Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie an der Freien Universität Berlin sowie der Film- und Fernsehwissenschaft an der Universität Amsterdam; Promotion 2005; seit 2009 Professor für Mediengeschichte im digitalen Zeitalter an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF, seit 2015 (mit Hermann Kappelhoff) Sprecher der Kolleg-Forschungsgruppe Cinepoetics – Poetologien audiovisueller Bilder an der Freien Universität Berlin; Mitglied im Direktorium des Brandenburgischen Zentrums für Medienwissenschaften (ZeM). Publikationen u.a.: Special Effects in der Wahrnehmung des Publikums. Beiträge zur Wirkungsästhetik und Rezeption transfilmischer Effekte (Hg., 2016); Pictorial Affects, Senses of Rupture. On the Poetics and Culture of Popular German Cinema, 1910–1930 (2019).
Konkurrierende Interessen
Der Autor hat keine konkurrierenden Interessen zu erklären.
References
Wilson Scott (2011) The Politics of Insects. David Cronenberg’s Cinema of Confrontation, Continuum