Es bleibt eine anspruchsvolle Aufgabe, das gegenwärtige Science-Fiction-Kino zu beschreiben, denn dieses hat sich dermaßen ausgebreitet, dass fast die Hälfte der heutigen Genre-Produktionen als ›Science Fiction‹ gelten könnte. Avengers: INFINITY WAR (US 2018, Regie: Anthony Russo und Joe Russo), HER (US 2013, Regie: Spike Jonze), THE BOSS BABY (US 2017, Regie: Tom McGrath), SORRY TO BOTHER YOU (US 2018, Regie: Boots Riley) und WORLD OF TOMORROW (US 2015, Reeie) enthalten zwar alle SF-Elemente, werden aber nicht primär als SF-Filme wahrgenommen. Wie beim Fortsetzungsroman oder beim Western in früheren Jahrzehnten ist nun auch die Metastatisierung des SF-Genres vollkommen. Die von Vivian Sobchack und J.P. Telotte gestellten medientheoretischen Fragen oder das von Darko Suvin geprägte Konzept der kognitiven Verfremdung verlieren deutlich an Stringenz, wenn die verschiedensten Medien SF als Modus nutzen: Werbefilme, Videospiele, Kunst, usw. »The future is already here, it’s just not evenly distributed«, lautete William Gibsons Diktum im Jahr 2003. Das Gefühl, dass die Zukunft »jetzt« sei, durchzieht den zeitgenössischen Diskurs und hat wohl auch den Titel eines deutschsprachigen Sammelbands inspiriert. Das ist das Ergebnis einer gleichnamigen Tagung (»The Future Is Now«), die an der Universität Bremen und im Kommunalkino Bremen im Frühjahr 2015 stattgefunden hatte.

Trotz einer beeindruckenden inhaltlichen Vielfalt haben sich die Herausgeber auf drei Forschungsbereiche konzentriert: auf Ästhetik und Geschichte, die Inszenierung des Raums und die Klangwelten der Science Fiction. Damit wenden sie sich von der üblichen Technophilie ab zugunsten eines genauen Blicks auf kulturelle Repräsentationssysteme. Entscheidend für die einzelnen Beiträge sind jene Bereiche der Forschung, die von dominanten SF-Diskursen öfters ignoriert werden, z. B. das politische Gewicht des Genres, der imaginierte Raum mit seinen Wurzeln in Europa, Afrika und Asien oder Blicke und Töne, die das uns Bekannte verfremden, dabei aber doch eine allzu bekannte Geschichte erzählen, beispielsweise in den entlegensten Winkeln des Alls. Die vier HerausgeberInnen formulieren es folgendermaßen:

Raum ist in diesem Kontext also nicht nur als Begriff von Bedeutung, sondern eröffnet auch eine geographische und politische Sphäre, in der die unterschiedlichen und mitunter konkurrierenden Ideologien und Geschichtsauffassungen entfaltet und diskutiert werden können. (7)

Es geht somit darum, SF zu historisieren und zu kontextualisieren. Der Sammelband kommt diesem Anspruch erfolgreich nach, denn er besteht aus für die Genreforschung notwendigen und interessanten Analysen, die dem SF-Genre wieder Raum, Klang und Relevanz zurückgeben.

Wenn wir von der Geschichte des Genres reden, denken wir normalerweise an den Fortschritt der Tricktechnik und zeitgenössische Thematiken, die gut zur jeweiligen Epoche passen. Die HerausgeberInnen und AutorInnen gehen im ersten Teil des Sammelbands mit dem Titel »Geschichte« einen anderen Weg. Im Kapitel »Abjekte Zeiten« schreibt Vivian Sobchack über Gerry Canavans nützlichen Begriff des »Nekrofuturismus« mit Blick auf Zeitreise-Geschichten wie KNOWING (US 2009, Regie: Alex Proyas) oder EDGE OF TOMORROW (US 2014, Regie: Doug Liman). Sobchack fasst die verschiedenen Topoi von Endzeit-Temporalität in solchen Filmen kurz und elegant zusammen. Ihr Argument lautet: »Der Chronotopos der Apokalypse hat sich ebenfalls seit dem 11. September [2001] verändert. […] [Die Gegenwart] wird in einer solchen Zeitstruktur zum andauernden Dazwischen des mythischen Anfangs und Endes der Zeit« (22). Die langfristige Wirkung dieses Erzählmusters zielt auf das ständige, grundlose Entleeren von Hoffnung auf die Zukunft ab, das übergreifende Konsequenzen für uns als Menschen bedeutet. Sobchacks Korpus ist umfassend, bleibt aber trotzdem in ihren Ausführungen kohärent.

Im nächsten Kapitel vergleicht David Seed das Mars-Bild in Camille Flammarions Uranio (1890), Mark Wicks’ To Mars via the Moon (1911) und anderen Mars-Geschichten mit Filmen wie JUST IMAGINE (US 1930, Regie: David Butler), MARS ATTACKS THE WORLD (US 1938, Regie: Ford Beebe und Robert F. Hill), oder WAR OF THE WORLDS (US 1953, Regie: Byron Haskin). Seeds Beitrag zielt auf die Kontinuität der Mars-und-Marsianer-Darstellungen ab. »[Der] Mars [wurde] immer wieder neu erfunden – als ein Instrument zur Kommentierung von Tendenzen in der britischen und amerikanischen Gesellschaft« (44). Jahrzehnte vergehen, aber spezifische Formen angloamerikanischer Besessenheit ändern sich anscheinend kaum. Christian Pischel rekapituliert dann die bekannte Geschichte des DDR-SF-Klassikers DER SCHWEIGENDE STERN (DDR/PL 1960, Regie: Kurt Maetzig). Der Artikel bleibt im Dialog mit etablierter Sekundärliteratur über den Film, fügt dieser aber wenig hinzu. Delia González de Reufels bespricht das Thema der Überbevölkerung in den 1970er-Jahren anhand der Filme SOYLENT GREEN (US 1973, Regie: Richard Fleischer), Z.P.G. – ZERO POPULATION GROWTH (US 1972, Regie: Michael Campus) und LOGAN’S RUN (US/GB 1976, Regie: Michael Anderson). De Reufels schildert die rassistische Weltanschauung, die im Überbevölkerungsdiskurs zutage tritt, und wie die in den Filmen gezeigten Menschen Bürger in Europa und den USA dazu verführt haben, Überbevölkerung als »Problem« ernst zu nehmen. Sherryl Vint wirft in ihrem Beitrag einen Blick auf spielerische »kontrafaktische« SF-Filme, die als Ideenangebot für alternative Lebensarten und Gesellschaften funktionieren: ELYSIUM (US 2013, Regie: Neill Blomkamp), PUNISHMENT PARK (US 1971, Regie: Peter Watkins), BORN IN FLAMES (US 1983, Regie: Lizzie Borden), CSA: THE CONFEDERATE STATES OF AMERICA (US 2004, Regie: Kevin Willmott) und DEATH OF A PRESIDENT (GB 2006, Regie: Gabriel Range), verbinden, so Vint, SF- und Dokumentarfilm auf einer ästhetischen Ebene, die »uns dazu [ermutigt], Geschichte als Produkt kontingenter, menschlicher Entscheidungen zu sehen« (84). Karin Harrasser schließt den ersten Teil des Bandes mit einer These zur Biopolitik (im Sinne Foucaults) von Cyborgs und Robotern in Filmen wie BLADE RUNNER (US 1982, Regie: Ridley Scott) oder THE COMMON SENSE (US 2014–15, Regie: Melanie Gilligan) ab. Besonders fällt hier Hans Scheirls fast unbekannter Film DANDY DUST (AT 1998) auf, welcher eine fortschrittliche Gender-Politik entfaltet, der heute große Relevanz zu kommt.

Doch gerade in Bezug auf Gender-Politik fällt auf: Der zweite Teil des Sammelbands – zum Thema »Raum« – wird komplett von männlichen Autoren dominiert. Dennoch sind die Beiträge in ihrer Art überzeugend. Aidan Powers Aufsatz »Science-Fiction-Film und Europa: Eine Neubewertung« leistet die im Titel angekündigte Neubewertung, die nötig ist, um mit dem konfliktgeladenen, manchmal mittelmäßigen Erbe des europäischen SF-Films umzugehen. Wenn man die Geschichte des Genres mit Georges Méliès und Fritz Lang beginnen lässt, dann ist es in diesem Sinne auch gerecht, dass Europa im Zentrum der re-provinzialisierten SF-Film-Geschichte steht. Power schreibt: »Von ihrem damaligen Beginn an waren die beherrschenden Gedanken der Science-Fiction bis zu einem gewissen Grade bereits im filmischen Medium verkörpert« (95). Danach versucht Power, die verschiedenen SF-Jahrzehnte in einem europäischen Kontext einzuordnen, was als ein ehrgeiziges Experiment erscheint.

Winfried Pauleit folgt dieser Analyse mit einer fokussierten Diskussion von europäischen Zeitreise-Filmen der 1950er- und 1960er-Jahre. LA JETéE (FR 1962, Regie: Chris Marker), JE T’AIME (FR 1968, Regie: Alain Resnais) und TIME SLIP/THE ATOMIC MAN (GB 1955, Regie: Ken Hughes) stehen durch ihre unterschiedliche Verwendung von Ton, Bild und filmischer Zeit im Vordergrund seiner Ausführungen. Bemerkenswert scheint mir Pauleits Behauptung, dass das europäische SF-Kino ein »modernes Kino der Sprechakte« (117) sei. Diese »Re-Perspektivierung« (118) der Filme ist durchaus produktiv. Ebenso willkommen ist Ivo Ritzers Beitrag über den postkolonialen Blick auf die afrikanischen SF-Filme von Neill Blomkamp, dessen Film CHAPPIE (US 2015, nicht 2005, wie im Band auf Seite 123 angegeben) Ritzer als Beispiel zitiert, um Jean und John Comaroffs These zu unterstützen, dass Afrika »Vorreiter der Globalisierung« sei, und dass sich der Blick dorthin wenden soll, wenn es um künftige soziale und technische Fragen der Menschheit geht. Sowohl CHAPPIE als auch DISTRICT 9 (NZ/US/ZA 2009, Regie: Neill Blomkamp) und PUMZI (KE/ZA 2009, Regie: Wanuri Kahiu) zeigen auf, wie Rohstoffknappheit und ein »ausschließlich auf Profitmaximierung ausgerichteter Kapitalismus« (127) unsere Zukunft antizipieren. In ihren Beiträgen wenden sich Marc Bonner und Matthias Grotkopp der Architektur bzw. der Natur zu, die gleichermaßen als Handlungsorte, Kommunikationsmittel und sogar epistemologische Grenzen funktionieren. Bonner gelingt dabei auf elf Seiten, was David Fortin (2011) in einem ganzen Buch nicht vermitteln konnte: SF-Architektur und Retrofuturismus über Jahrzehnte kohärent zu kontextualisieren. Bonner behauptet, dass nahezu alle Science-Fiction-Filme »[…] ab den 1970er-Jahren in der Darstellung zukünftiger urbaner Stadtgefüge und Architekturen nicht mehr durch aktuelle Visionen des Architekturdiskurses, sondern zum Großteil von Architekturstilen vergangener Epochen inspiriert sind« (130).

Grotkopp folgt diesem Beitrag mit der Ökokritik des Genres: die Räume der nicht-menschlichen Natur nach der Katastrophe der Menschheit in SILENT RUNNING (US 1972, Regie: Douglas Trumbull), SURVIVAL OF SPACESHIP EARTH (US 1972, Regie: Dirk Wayne Summers) und SOYLENT GREEN. Diese drei Filme der frühen 1970er-Jahren weisen darauf hin, dass das »Schicksal der Natur eine historische Frage sei« (149). Grotkopp erinnert daran, wie die Politik die Natur beeinflusst, und wie diese Politik durch Ekel und Bilder der Verschmutzung filmisch auf den Zuschauer wirken.

Der letzte Teil, »Klänge und Ästhetik«, hat fünf Kapitel – und schon wieder fünf männliche Beiträger – und setzt seinen Schwerpunkt auf SF-Filme aus dem Jahr 2013: HER, GRAVITY, ANINGAAQ (US 2013, Regie: Jonás Cuarón), SNOWPIERCER (SK/CZ 2013, Regie: Bong Joon-ho) und UNDER THE SKIN (GB/US/CH 2013, Regie: Jonathan Glazer). Nur Brian Willems Kapitel »Die Klänge des Alls« setzt seinen Fokus auf historische Klangeffekte. Rüdiger Zill untersucht philosophisch die Frage, ob das Schreiben oder das Sprechen »intimer« ist, im Rahmen von Spike Jonzes HER Rasmus Greiner konzentriert sich auf den klaustrophobischen Ton in Alfonso Cuaróns Meisterwerk GRAVITY (US/GB 2013). Tobias Haupts entdeckt die vorsichtig hergestellte Ästhetik von Kälte und Eis in Bong Joon-hos SNOWPIERCER die als Eiszeit-Antwort auf die Dystopien von METROPOLIS (DE 1927, Regie: Fritz Lang) oder das Ödland von HELL (DE/CH 2011, Regie: Tim Fehlbaum) erscheint. Simon Spiegel beendet den Sammelband mit dem Nachdenken über Novum und Verfremdung in UNDER THE SKIN. Dieser Film macht deutlich welche avantgardistischen Möglichkeiten im SF-Film stecken, insbesondere in einer Zeit, in der die Tricktechnik billiger und die Filme transnationaler werden.

Die im Jahr 2015 veranstaltete Tagung und der 2016 daraus entstandene Sammelband haben die deutsche Forschungslandschaft beeinflusst. So organisierte die Deutsche Kinemathek/Museum für Film und Fernsehen in Berlin 2017 die Berlinale-Retrospektive zum »Future Imperfect: Science • Fiction • Film«. Im englischsprachigen Buch zur Filmreihe tauchen viele Namen aus Die Zukunft ist jetzt erneut auf: Sherryl Vint, Tobias Haupts und Aidan Power. Beide Sammelbände bieten tiefe Einsichten für SF-KennerInnen und WissenschaftlerInnen zum aktuellen Stand der Forschung. Sie weisen aber auch darauf hin, dass wir immer noch am Anfang von ehrgeizigeren historiografischen Fragen zum Genre stehen und wir als LeserInnen helfen sollten, diese größeren Fragen über die Zukunft der SF-Forschung zusammen zu beantworten.

Autor

Evan Torner, Dr. phil., Filmwissenschaftler und Germanist; seit 2014 als Assistant Professor of German an der University of Cincinnati tätig; Studium in Grinnell, Iowa, Freiburg im Breisgau, Amherst, Massachusetts und Potsdam-Babelsberg; 2013 Promotion an der University of Massachusetts Amherst über Rassenproblematik in DEFA-Genrefilmen. Zur Zeit habilitiert er sich mit einer Monografie über deutsche SF-Filme. Forschungsschwerpunkte: DEFA-Film, deutsche SF-Filme, Rassismus in den Medien und Rollenspiele.

Konkurrierende Interessen

Der Autor hat keine konkurrierenden Interessen zu erklären.

References

Rother Rainer and Schaefer Annika (2017) Future Imperfect. Science – Fiction – Film, Bertz + Fischer