Mit der Tagung Queens of the Future ist der im Vorjahr ins Leben gerufenen Organisation Speculative Fiction Across Media (SFAM) in Los Angeles ein äußerst spannendes und denkwürdiges Debut gelungen. Die Organisator:innen haben es sich zur Aufgabe gemacht, mit einer von nun an regelmäßig stattfindenden Konferenz den Austausch im Forschungsfeld der SF voranzubringen, wobei sie unter SF nicht ausschließlich das Genre der Science Fiction verstehen, sondern den Begriff dezidiert auf seine spekulativen Dimensionen zurückführen. Vor diesem Hintergrund lag der inhaltliche Schwerpunkt der Auftaktveranstaltung auf der Arbeit von Frauen in den Medien spekulativer Fiktion, nicht zuletzt aufgrund des hundertsten Geburtstag von Aelita (SU 1924, Regie: Jakow Protasanow), einem der frühesten Langfilme mit Science-Fiction-Elementen, sowie dem vierzigsten Geburtstag von The Terminator (US 1984, Regie: James Cameron), an dem die Produzentin und Drehbuchautorin Gale Anne Hurd maßgeblich beteiligt war.1 Ausgehend davon bewerkstelligte es SFAM, ein internationales Feld von über 50 Teilnehmenden anzusprechen sowie in einer überlegten Auswahl an Themenkomplexen eine Vielfalt an wissenschaftlichen Beiträgen zusammenzubringen. In den Keynotes, Plenarsitzungen und thematisch gruppierten Panels tauschten sich sowohl Forschende als auch in der Industrie arbeitende Personen – wie Produzent:innen, Romanschriftsteller:innen und Drehbuchautor:innen – miteinander aus.
Diese Nähe der Tagung zu künstlerisch tätigen Personen stach in meinen Augen besonders heraus.2 Gleich an der abendlichen Eröffnung, der ein gemeinsamer Besuch der Ausstellung Cyberpunk: Envisioning Possible Futures Through Cinema im Academy Museum of Motion Pictures vorausging, setzte sich mit Alyssa Clark, Produzentin von The 100 (US 2014, Idee: Jason Rothenberg), Mercedes M. Valle, Drehbuch für DC’S Legends of Tomorrow (Legends of Tomorrow, US 2016–2022, Idee: Greg Berlanti et al.) und Anne Toole, Autorin für das Spiel The Witcher (2007), die erste Plenarsitzung zusammen. Hier kam die Runde schnell auf die Position von Frauen sowie die Rolle von marginalisierten Stimmen in der Film- und Videospielindustrie zu sprechen. In diesem Kontext widmeten sich die Panelistinnen unter anderem der Frage, welche Geschichten erzählt werden und was die Bedingungen ihres Erzählens sind. Zur Veranschaulichung beschrieben sie die völlig unbegründete Angst der Entscheidungsträger:innen vor der Produktion von Filmen und Serien mit einem diversen Cast und nicht-westlichen Inhalten. Los Angeles als Austragungsort der Konferenz ermöglichte es dabei, diesen in Hollywood ausgehandelten Diskursen recht nah zu kommen. Damit ging auch einher, dass die Verzahnung der Produktionsbedingungen mit dem künstlerischen Schaffen im weiteren Verlauf der Veranstaltung immer wieder zur Sprache kam.
Bereits in einem der ersten Vortragspanels zeigte sich, dass die Konferenz ein breites Spektrum an Perspektiven, Beiträgen und Medien zu vereinen wusste. Der Fokus lag hier auf »Feminist Aesthetics«. Mihaela Mihailova untersuchte in ihrem Paper Deepfakes und synthetische Bilder als spekulative Medien und zeigte, inwiefern die Erstellung von Deepfakes sowohl als Machtinstrument als auch als Werkzeug feministischer Filmpraktiken dienen kann. Die Präsentation von Paula Burleigh setzte sich wiederum anhand von Skulpturen mit dem plastischen Abformen, Erweitern und Verändern menschlicher Körper auseinander, während Jacqueline Heinzelmann die Funktion der Polaroid-Fotografie im Computerspiel Life is Strange (2015) als Form spekulativen Storytellings verortete. Trotz oder gerade aufgrund dieser Vielfältigkeit stellten sich hier für mich die folgenden zwei ganz basalen Fragen, die meinen eigenen Blick auf die weiteren Beiträge lenken sollten: Wie lässt sich die Praxis des Spekulierens ganz grundsätzlich eigentlich begreifen? Welche Medien, Prozesse und Räume umfasst, produziert und verändert sie?
Das darauffolgende Panel zu »Doubles, Dolls, Avatars and Their Operators« verlieh diesen Gedanken mit Beiträgen zum Spiel und der Performanz noch einmal mehr Nachdruck. Jasmine Moore diskutierte in ihrem Vortrag »›bLaCk siMmERs DOnT ExiSt‹: Shaping Worlds via Black Doll Culture and The Sims 4« die Modding-Kultur im Spiel The Sims 4 (2014), die aus der dortigen Unterrepräsentation von Schwarzen Spieler:innen hervorgegangen ist. Von da aus ging die Vortragende anekdotisch zum Puppenspiel als spekulativer Technik über und interpretierte das Beleben eines Surrogats als eine Reorganisation von Leben, Bedeutung und Erinnerung. Die anschließende Präsentation von James Tobias über »Stunt Women« resonierte mit diesen Gedanken zu spielerischen Techniken des Selbst. Sein Paper beschäftigte sich anhand der Beobachtung von Drag-Shows mit Subjektbildungsprozessen im Spektakel des Stunts und analysierte eine darin sichtbar werdende Gender-Performanz.
Rückblickend klang in diesen beiden Vorträgen bereits eine Verschränkung von spekulativer Produktion und Rezeption an, die in der Plenarsitzung von Constance Penley noch deutlicher wurde. Die Professorin für Film- und Medienwissenschaften berichtete aus ihrer eigenen Forschung über das Zusammenspiel von Wissenschaft und Fiktion und teilte ihre Erfahrungen aus dem Unterrichten eines Seminars über Pornografie. Darüber hinaus ging es um ihre Arbeit zur Fankultur. In diesem Zusammenhang verwies Penley auf die Produktion von Fan-Fiction, genauer gesagt Slash-Fiction, in der die Figuren gleichgeschlechtliche Beziehungen eingehen, die in den Hauptwerken so meist nicht vorgesehen sind.
Ein weiterer viel beleuchteter Schwerpunkt der Konferenz bildete die Auseinandersetzung rund um das Neuschreiben, Umschreiben und Reinterpretieren von Erzählungen. Während die erste Plenarsitzung mit Alyssa Clark, Mercedes M. Valle und Anne Toole die Notwendigkeit für neue Geschichten betonte und das Aufrollen alter Stories eher mit einem kritischen Blick betrachtete, setzte eine spätere Diskussionsrunde einen interessanten Kontrastpunkt, indem sie die Kraft der zahlreichen Neuinterpretationen der Figur Frankensteins und seines Monsters hervorhob. Erweitert und untermauert wurde dieser Komplex durch ein Vortragspanel zum Thema »Rewriting Stories«. Hier analysierte Claudia Sackl anhand von Bernardine Evaristos Soul Tourists (2005) und SchwarzRunds Biskaya (2016) die Erzählung alternativer Zeitlichkeiten und verortete sie in Konzeptionen des Afrofuturismus. Darüber hinaus beschäftigte sich Andrew Hagemann mit der Verhandlung und Rezeption der Kategorien von ›gender‹ und ›race‹ in Issa López’ True-Detective-Staffel Nightcountry (US 2024, Regie: Issa López), während John Rieder die erzählerischen Formen der Space Opera in den Romanen von Ann Leckie und Arkady Martine herausarbeitete.
Mit Christine Lötschers Keynote zu »›Her own wild animal.‹ Transgressive Desire in Feminist Body Horror made in France« kam die Tagung zum Abschluss. Die Grundlage der Präsentation bildete eine Analyse der Filme RAW (FR 2016, Regie: Julia Ducournau) und TITANE (FR 2021, Regie: Julia Ducournau). Unter anderem zeigte die Professorin für populäre Literaturen und Medien anhand einer Szene aus RAW, wie der Film mit den audiovisuellen Ästhetiken und Erfahrungsräumen des Arthouse-Kinos sowie des klassischen Horrorfilms spielt, und setzte diese formalen Aspekte mit dem entgrenzenden und blutigen Verlangen der Hauptfigur in Zusammenhang. Gleichzeitig verdeutlichte der Vortrag, wie die Aushandlung des Körpers in den Filmen auch den Körper der Zuschauer:in zu affizieren vermag.
Abschließend ist erwähnenswert, dass sowohl die Romane Ursula K. Le Guins als auch ihr Essay »The Carrier-Bag Theory of Fiction« (1988) öfters an der Konferenz erwähnt worden sind. Die Arbeit der Autorin bildet daher wohl nach wie vor einen wichtigen Knotenpunkt in der Forschung zu spekulativen Medien, welcher Forschende und Künstler:innen gleichsam beschäftigt und verbindet. Insgesamt hat das Aufeinandertreffen dieser Welten über drei Tage hinweg eine nachhaltige und bereichernde Auseinandersetzung geschaffen. Der titelgebende Schwerpunkt »Queens of the Future« wurde währenddessen nie aus den Augen verloren, sondern konnte immer wieder aus neuen Perspektiven beleuchtet werden. Es wird spannend zu sehen sein, wohin sich die Konferenzreihe nach diesem Auftakt entwickelt. Nächstes Jahr soll es jedenfalls um die Narrative von KI in den Medien spekulativer Fiktionen gehen. Mehr Informationen dazu gibt es unter: sfamla.org/speculative-fiction-across-media-2025/
Notes
- Vgl. sfamla.org/speculative-fiction-across-media/, 1. Dez. 2024. Hurd war ursprünglich als Ehrengast für die Tagung vorgesehen, war aber verhindert und wird nun an der nächsten Ausgabe der Tagung teilnehmen. [^]
- SFAM möchte alle Personen ansprechen, die in irgendeiner Form etwas mit SF zu tun haben. Vgl. sfamla.org/, 1. Dez. 2024. [^]
Autor
Willem Conrad ist Doktorand am Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaften der Universität Zürich. Er ist Mitarbeiter im Projekt Ökopassionen. Coming of Age im Anthropozän und beschäftigt sich in seiner Dissertation mit der filmischen Darstellung von Kindern, die in Landschaften verschwinden. Sein kulturanalytischer Forschungsansatz ist geprägt von seinem Interesse an Medienphilosophie, Phänomenologie und Artefakttheorie.
Konkurrierende Interessen
Der Autor hat keine konkurrierenden Interessen zu erklären.
Filmografie
Aelita. Regie: Jakow Protasanow. SU 1924.
DC’s Legends of Tomorrow (Legends of Tomorrow). Idee: Greg Berlanti, Marc Guggenheim, Andrew Kreisberg, Phil Klemmer. US 2016–2022.
Raw. Regie: Julia Ducournau. FR 2016.
The 100. Idee: Jason Rothenberg. US 2014.
The Terminator. Regie: James Cameron. US 1984.
Titane. Regie: Julia Ducournau. FR 2021.
True Detective. S04: Nightcountry. Regie: Issa López. US 2024.
Ludografie
Life is Strange. Square Enix, 2015.
The Sims 4. Electronic Arts, 2014.
The Witcher. CD Projekt, 2007.
Zitierte Werke
Evaristo, Bernardine. Soul Tourists. Penguin, 2005.
Le Guin, Ursula K. »The Carrier-Bag Theory of Fiction«. Women of Vision: Essays by Women Writing Science Fiction, Hg. Denise Du Pont. St. Martin’s Press, 1988. 1–12.
SchwarzRund. Biskaya. Zaglossus, 2016.