Dem allgemeinen Titel der Zeitschrift gemäß liefert auch das Themenheft von Fastitocalon zu fantastischen Tieren und Tieren im Fantastischen ein breites Spektrum an Forschungsfeldern, die sich von der Antike bis ins 21. Jahrhundert erstrecken. Dass es bei dieser Bandbreite notwendig selektiv zugehen muss, liegt auf der Hand. Trotzdem sind die beiden HerausgeberInnen der gesamten Zeitschrift (Thomas Honegger und Fanfan Chen) sowie die Gastherausgeber des Themenhefts (Oliver Bidlo und Frank Weinreich unter Beteiligung von Thomas Honegger) bemüht, in ihrem Vorwort Zusammenhänge zwischen den einzelnen Beiträgen herzustellen und sie zu thematischen Sektionen zu ordnen: beispielsweise das Verschwimmen der Unterscheidung zwischen Mensch und Tier in Kristine Larsens Artikel zu Sapkowskis Witcher-Serie und Amber J. Roses Beitrag zu Wolfsgestalten in der Völsunga-Saga oder die transzendente Dimension tierischer Darstellungen der Adler in Tolkiens Herr der Ringe (Łukasz Neubauer), Victor Holtz Wodzaks Diskussion verschiedener Werke von C. S. Lewis oder Fanfan Chens Analyse von Takahasis Inuyasha-Serie.

Die Reihe der 13 Artikel wird von Friedhelm Schneidewinds Überblick zu sprechenden Tieren als Protagonisten eröffnet, worin der Autor versucht, vom Altertum bis in die Gegenwart eine diachrone Skizze über die Rollen sprechender Tiere zu geben. Hierbei werden zahlreiche Werke aus beinahe allen Epochen und einer Vielzahl von Nationen angeführt, der Kürze des Überblicks geschuldet aber nicht weiter interpretiert. Hilfreich für die Recherche interessierter RezipientInnen ist die weitestgehend beibehaltene Unterteilung in einzelne Tierarten, die es ermöglicht gezielt nach vorhandener Literatur zu Katzen, Adlern, Bären usw. zu suchen und so das Überblickswissen als Startpunkt für eine tiefergehende Beschäftigung zu verwenden.

Sowohl Anja Höing als auch Steve Gronert Ellerhoff beschäftigen sich in ihren Artikeln mit Richard Adams’ Watership Down (1972). Bei Höing wird der Roman zu einem der gewählten Beispiele, um ihren ecocritical approach auszuführen. Greg Garrads in Ecocriticism ausgeführte Unterteilungen in metonymische und damit anthropomorphische sowie metaphorische und damit Anthropomorphismus negierende Darstellungsverfahren macht einen, wie Höing kritisiert, im Bereich der fantastischen Literatur unhaltbaren Dualismus auf. Stattdessen plädiert Höing für drei Modifizierungen des Ansatzes »for a more differentiated reading of anthropomorphism in fantastic animal stories«: »definitions narrowed down to literary texts, awareness of different dimensions of anthropomorphism, and an integration of metaphor« (30) und zeigt die Möglichkeiten dieses modifizierten Ansatzes neben Watership Down anhand von Aeron Clements The Cold Moons (1987).

Ellerhoff untersucht Watership Down unter dem Aspekt westlicher Konzeptionen von Schamanismus Den Ansätzen von Joseph Campbell und Mircea Eliade folgend wird die seherisch begabte Figur Fiver als Schamane der Kaninchengemeinschaft interpretiert. Zunächst werden seine Visionen von der Hasengemeinschaft belächelt – was Vergleiche zur griechischen Mythologie mit Cassandra zulässt. Nach und nach wird Fiver zu einer zentralen Figur der Hasengemeinschaft, dessen Visionen ernst genommen werden, und der die Rolle des Schamanen seiner Hasengruppe übernimmt. Die Respektbekundungen gegenüber dieser Schamanenfigur rückt die Hasengemeinschaft in Watership Down in die Nähe indigener Kulturen.

Basierend auf ihrer Masterarbeit stellt Jenn Grunigen die ambigue Darstellung des Fuchses besonders im Mythpunk (als Subgenre von Science Fiction und Fantasy) ins Zentrum ihrer Analyse. Hierzu verfolgt sie mit einem gendertheoretischen Ansatz die These, dass der Fuchs in der Ambiguität seiner Darstellungen Heteronormativität widerspricht und queer dargestellt und gelesen wird. Diese Lesart stellt sie mittels eines international ausgewählten Korpus dar, welcher hilft, interessante Bezüge zwischen einzelnen Texten und globalen Imaginationen des Fuchses herzustellen.

Während Grunigens Artikel sich durch Vielseitigkeit und interessante Interpretationen auszeichnet, bleibt Smadar Shiffmans kurzer Artikel zu Kafkas fantastischen Tieren enttäuschend nichtssagend. Die Quintessenz ist in wenigen Worten zusammengefasst: »Kafka’s animals are indecipherable. […] They are, like Kafka’s world (and our own) simultaneously fraught with meaning, and meaningless, animals and symbols, brutes and humane.« (63) Die vorsichtige Interpretation liest alles und nichts in die Darstellung von Tieren hinein und bietet damit wenig Greifbares, das der Kafka-Forschung neue Impulse geben könnte.

Mit einem aktuellen Textkorpus beschäftigt sich Kristine Larsen, wenn sie Andrzej Sapkowskis Witcher-Reihe auf ihren mythologischen Gehalt hin untersucht. Hierzu greift sie einige positiv wie negativ konnotierte Geschöpfe aus dem mythologischen Bestiarium auf und legt in enger Textarbeit dar, wie deren Umsetzung in der Witcher-Reihe erfolgt. Dabei denkt sie auch ›globalere‹ Themen – »themes of environmentalism, mass extinction, and eugenics/genetic engineering« (75) – an.

Auch mittelalterliche Literatur findet mit Amber J. Roses Analyse von Wolfsgestalten in der Völsunga Saga Berücksichtigung. Rose argumentiert dabei, dass das wiederkehrende Motiv des Werwolfs eine zeitgenössische Interpretation von Gender und Paganismus darstellt. Hierzu untersucht sie verschiedene Werwolfgestalten der Saga wie Sigmundr und Sinfjötli, deren Darstellung einer zeitgenössischen Ambivalenz gegenüber der Imagination des Gestaltwandelns entspricht:

This tension between socially-sanctioned and even heroic male werewolves, on the one hand, and the witchcraft of shape-shifting on the other hand, may account for the ambiguity and contradictions in the saga’s treatment of Sigmundr and Sinfjötli. (89)

Im Anschluss an die isländische Völsunga Saga werden weiterhin altertümliche und ›klassische‹ Texte fantastischer Literatur behandelt. Łukasz Neubauers Vergleich zwischen Tolkiens Lord of the Rings und Peter Jacksons filmischer Adaption macht den Anfang dieser finalen Reihe von Beiträgen. Kern des Vergleichs bildet die Darstellung der Adler bzw. deren Abwesenheit oder reduzierte Darstellung in Jacksons Version. Während ihre Konzeption bei Tolkien dezidiert an christliche Vorstellungen, an »the comings of the Holy Spirit, the third hypostasis of the Trinity« (102) angelehnt sind, werden die Adler in Jacksons Adaption deutlich reduziert auf »moderately complex beasts« (103) und offenbaren damit »Peter Jackson’s lack of familiarity with even the basic principles and significance of Tolkien’s theory of eucatastrophe« (106).

Im Bereich der Inklings verbleibend widmet sich daran anschließend Victoria Holtz Wodzak dem Thema Pilgern rund um C. S. Lewis’ Tiergestalten. Das Pilgern vollzieht sich über die Gegensätze von bekannt/heimelig und fremd und über den Erwerb von Tugenden wie Mut, Loyalität und Heimatverbundenheit, was den kindlichen ProtagonistInnen über die tierischen Reisegefährten vermittelt wird.

Ebenfalls über nationale Grenzen hinaus bekannt und populär ist die Serie INUYASHA, die Fanfan Chen sowohl als Manga- als auch als Anime-Serie bespricht. Im Fokus steht die Zeitstruktur, samt Zeitreisen und damit einhergehenden Implikationen für die Figurenkonstellation durch beispielsweise Reinkarnation. Dabei wird argumentiert, dass die Darstellung des Animalischen, insbesondere auch durch Yokai (dämonische Wesen, häufig als Mischwesen zwischen Mensch und Tier, dem Chinesischen Yaoguai entlehnt) parallel zu der komplexen Zeitstruktur die Ästhetik beider Medien entscheidend prägt. Der Artikel verwendet insgesamt viel Raum darauf, die komplexen Inhalte durch Nacherzählung verständlich zu machen, dadurch wird es leichter, der Argumentation zu folgen. Leider gerät dadurch an manchen Stellen aber die Argumentation und Interpretation etwas knapp.

Die beiden folgenden Beiträge komplementieren die im Titel der Zeitschrift angekündigte Beschäftigung mit fantastischen Texten von der Antike bis in die Gegenwart: Daniel Lau und Sarah Schlüter widmen ihrem Beitrag Anzû, dem mesopotamischen Donnervogel, und Tziona Grossmark untersucht das Phänomen gigantischer Tiere in Reiseliteratur am Beispiel rabbinischer Literatur. Lau und Schlüter zeigen die Veränderungen in der Darstellung Anzûs vom Tempelwächter und göttlichen Gefährten bis hin zum Antagonisten der Götter über die Jahrhunderte hinweg auf. Hauptsächlich bietet der Artikel, nach einigen einführenden Gedanken, eine chronologische Übersicht, wie Anzû seit seiner ersten überlieferten Darstellung im 4. Jh. v. Chr. bis zum 1. Jh. v. Chr. jeweils dargestellt wurde und wie die Veränderungen zu werten sind. Das Fazit des Artikels fasst die in der chronologischen Darstellung gezogenen Schlüsse gleich doppelt zusammen, einmal als ausführliche Zusammenfassung, einmal als knappere Übersicht. Es entsteht das Gefühl, sich in der Betrachtung im Kreis zu bewegen, wenngleich es nie zu einer wortwörtlichen Übernahme früherer Äußerungen kommt, z.B.:

This interpretation is one of the reasons why one can assume that there was a close connection between Anzû, wind and storm. (139)

One of Anzû’s roles in Mesoptomanian thought was the creation of clouds and mist. (141)

Thus, at the end of the 4th millennium Anzû might have represented a primordial creature of heaven itself, a manifestation of thunderclouds and stormwinds, propably also associated with war. (149)

In summary, Anzû had been the representation of an ambivalent natural atmospheric phenomen, bringing destruction as well as fecundity. (151)

Grossmarks Betrachtung von rabbinischer Reiseliteratur folgt zunächst dem von ihr erläuterten formelhaften Modell genereller Reisebeschreibungen, die in der Ich-Erzählung von einem Ereignis in der Vergangenheit und an einem fernen Ort erzählen, wobei gerade die Frage nach der Größe von Tieren, denen der Reisende begegnete, einen wiederkehrenden Topos bildet. Im von ihr untersuchten Beispiel wird, um die Größe bestimmter Tiere den heimatlichen ZuhörerInnen bzw. LeserInnen zu verdeutlichen, auf Vergleiche mit markanten und als bekannt vorauszusetzenden topografischen Punkten gearbeitet. Die realen beschriebenen Tiere (Antilope, Frosch und Vogel) werden durch die Beschreibungen ihrer gigantischen Größe verzerrt. Interessant ist der herausgearbeitete Vergleich mit anderer Reiseliteratur wie Sindbads fiktiven Abenteuern oder Marco Polos Reisebericht, die mit ähnlichen Motiven arbeiten: »Such narratives derived from a common store of travelers’ tales that were often recounted on the eastern trade routes.« (167)

Den Abschluss der Artikel bildet Timo Lothmanns Annährung an Konzeptionen des Drachen in Beowulf und in Tolkiens Œuvre aus einer kognitiven und sprachwissenschaftlichen Perspektive. Er argumentiert, dass der Drache als fremdes Wesen der »secondary world« nur mittels metaphorischen Sprachgebrauchs in unsere »primary world« übertragbar ist. Tolkien macht sich, so die Argumentation weiter, die Annäherung und zeitweise Gleichsetzung zwischen Drache und Beowulf im Epos zunutze, um seinen eigenen Drachen (wie beispielsweise Smaug) inmitten der metaphorischen Auslegung mehr Individualität und Charakter zuschreiben zu können.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Band es ermöglicht, sich schlaglichtartig mit verschiedenen Facetten der Darstellung fantastischer Tiere bzw. Tiere im Fantastischen zu beschäftigen und liefert eine interessante Basis für die weitere Beschäftigung mit diesem Themenfeld. Die Bandbreite der ausgewählten Primärquellen erlaubt eine Vielzahl an Anknüpfungspunkten, so dass sich die einzelnen Beiträge nicht nur für eigene weiterführende Forschungen eignen, sondern auch im Seminarkontext heuristisch wertvoll Einsatz finden können.

Autorin

Dr. Laura Zinn (geb. Muth) ist seit 2012 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen. 2017 Promotion zum Thema Fiktive Werkgenesen – Autorschaft und Intermedialität im gegenwärtigen Spielfilm (transcript 2017). Weitere Publikationen beispielsweise zu fantastischer Literatur und Film, Mythenrezeption sowie Gender Studies. Sie ist Mitglied der Gesellschaft für Fantastikforschung, der Gesellschaft für Medienwissenschaften und der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft.

Konkurrierende Interessen

Die Autorin hat keine konkurrierenden Interessen zu erklären.