In ihrer englischsprachigen Dissertation On Making Fiction: Frankenstein and the Life of Stories beweist Friederike Danebrock ein feines Gespür für die komplexen Wechselwirkungen zwischen literarischer Produktion und kultureller Reproduktion. Die 2021 an der Heinrich-Heine-Universität abgeschlossene Arbeit liegt seit 2023 im Print sowie im Open-Access-Format im transcript Verlag vor. 2022 bereits wurde sie für ihren innovativen kulturtheoretischen Ansatz mit dem drupa Preis für hervorragende Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der Philosophischen Fakultät Düsseldorf ausgezeichnet.
Danebrock untersucht am Beispiel des Frankenstein-Stoffes und ausgewählten Adaptionen aus unterschiedlichen Medien und Epochen – von Mary Shelleys Originalroman (Frankenstein, or The Modern Prometheus, 1818) über James Whales Filmklassiker von 1931 bis hin zu aktuellen Theaterinszenierungen – die unterschiedlichen Beziehungen zwischen Form, Information und Potenzialen in der Fiktion. Dabei versteht sie diese Begriffe als dynamisches Wechselspiel: Form bezeichnet die medienspezifischen Strukturen, Information die transformativen Prozesse der Bedeutungsbildung und Potenziale die Möglichkeitsräume, die durch neue Adaptionen freigesetzt werden. Sie verbindet dabei verschiedene theoretische Ansätze, darunter Bruno Latours Ontologie der Existenzmodi, Derridas Konzept der Iterabilität, Deleuzes Differenzphilosophie und psychoanalytische Narratologie nach Peter Brooks. Diese theoretische Vielfalt wird durch eine stringente Gliederung sinnfällig strukturiert und funktionalisiert.
In ihrer Einleitung entwickelt Danebrock systematisch den theoretischen Rahmen ihrer Untersuchung. Als Ausgangspunkt dient ein prägnanter Augenblick aus der Serie Stranger Things (US 2016–, Idee: Matt Duffer und Ross Duffer), in dem sich Fiktion und Wirklichkeit auf eigenartige Weise überkreuzen. Dieser wird genutzt, um die zentrale These der Arbeit einzuführen: Fiktion ist nicht einfach eine sekundäre Repräsentation von Leben, sondern eine produktive Praxis (16).
Etablierte Dichotomien wie real/fiktiv, materiell/symbolisch oder aktiv/passiv werden hinterfragt bzw. aufgehoben. Anders als die bisherige Frankenstein-Forschung, die oft nach der ›Bedeutung‹ des Monsters fragt (als kulturelle Reflexion technologischer Ängste, Geschlechterkonflikte oder anderer sozialer Diskurse), richtet die Autorin den Fokus auf die Frage, wie Frankenstein als Geschichtspraxis funktioniert und wie in dieser Praxis Produzent:innen, Rezipient:innen und fiktionale Wesen in einen dynamischen Prozess wechselseitiger Transformation eingebunden werden. Die von ihr zum »Frankenstein-Komplex« (18) zusammengefassten medialen Manifestationen von Shelleys Grunderzählung erweisen sich als aufschlussreiche Gruppe: In den gewählten Beispielen spiegeln sich die thematische Ebene (die Erschaffung eines Lebewesens) und die performative Dimension (die fortgesetzte Wiederbelebung der Erzählung) gegenseitig.
Die Studie gliedert sich in der Folge in drei Hauptteile: »Figures« (57), »Repetition« (127) und »Company« (197). Der erste Teil widmet sich dabei der materiellen Dimension des Monströsen in Shelleys Roman sowie in Bernard Roses Filmadaption Frankenstein (frankenstein – Das Experiment, US 2015). Danebrock zeigt, wie der markierte, vernarbte Körper des Monsters nicht nur zum Objekt, sondern auch zur Quelle der Erzählung wird. Das Monster verweigert sich einer klaren Trennung zwischen Körperlichkeit und Textualität und erweist sich als zugleich extrem körperlich und extrem textuell.
Der zweite Teil wendet sich der zeitlichen Dimension fiktionaler Erzählungen zu. Anhand von James Whales Bride of Frankenstein (Frankensteins Braut, US 1935) und der TV-Serie Penny Dreadful (US/GB 2014–16, Idee: John Logan) analysiert die Autorin, wie serielle Narrative wiederholte Differenzen erzeugen. Sie argumentiert, dass die paradoxe Zeitlichkeit dieser Erzählungen, die gleichzeitig vorwärts und rückwärts gerichtet sind, nicht als Abweichung von linearer Zeit, sondern als Ausdruck fundamentaler ontologischer Prozesse zu verstehen ist, denn:
stories do not so much look back on something they go over again. Rather, stories manifest precisely the paradoxical character of repetition because through revisiting they project, cast forth or, in other words, create what they tell us about. Their gesture of re-creation is really pro-creative in bringing forth the new and the singular. (122)
Im dritten Teil widmet Danebrock sich Theodore Roszaks Roman The Memoirs of Elizabeth Frankenstein (1995) als Beispiel für eine problematische Politik der Identität, während Danny Boyles Theaterinszenierung Frankenstein (2011) am National Theater London mit ihrer Doppelbesetzung der Hauptrollen – die beiden Hauptdarsteller Benedict Cumberbatch und Jonny Lee Miller spielten abwechslungsweise die Rollen von Victor Frankenstein und der Kreatur – eine gelungenere Form des Relationalen vorführt.
Danebrocks Arbeit beeindruckt durch ihren anspruchsvollen theoretischen Rahmen, der diverse philosophische Ansätze gewinnbringend zusammenführt und konventionelle Frankenstein-Interpretationen überschreitet. Ihre Analysen zur Körperlichkeit von Narrativität und zur seriellen Wiederholung als differenziellem Prozess überzeugen besonders. Während die stellenweise hohe theoretische Dichte durchaus herausfordernd sein kann, gelingt es der Autorin dennoch, ihre komplexen Ideen durch konkrete Beispiele verschiedener Frankenstein-Adaptionen anschaulich zu machen Die detaillierten medialen Analysen funktionieren dabei als wichtige Brücke zwischen abstrakten Konzepten und ihrer praktischen Anwendung für unser Verständnis narrativer Fiktion.
Die interdisziplinäre Dissertation richtet sich an ein akademisches Publikum mit Interesse an Literatur- und Medientheorie, besonders an Forschende im Bereich Fiktionalität, Serialität und Adaptation und bietet Frankenstein-Expert:innen innovative Perspektiven jenseits etablierter Deutungsmuster.
Autorin
Susanne Schwertfeger, Dr., wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Kunstgeschichte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; Dissertation zum Trompe-l‘oeil in der holländischen Kunst des 17. Jahrhunderts; Arbeit am Habilitationsprojekt zu den Illustrationen der Gothic Novel; Hrsg. CLOSURE: e-Journal für Comicforschung; Forschungsschwerpunkte: Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts, Malerei des niederländischen Barock, Fotografie, Text-Bild Relationen, Ästhetik des Comics, Kunst im öffentlichen Raum in Schleswig-Holstein.
Konkurrierende Interessen
Die Autorin hat keine konkurrierenden Interessen zu erklären.
Filmographie
Bride of Frankenstein (Frankensteins Braut). Regie: James Whale. US 1935.
Frankenstein (frankenstein – Das Experiment). Regie: Bernard Rose. US/DE 2015.
Penny Dreadful. Idee: John Logan US 2014–16.
Stranger Things. Idee: Matt Duffer, Ross Duffer. USA 2016– .
Zitierte Werke
Roszak, Theodore. The Memoirs of Elizabeth Frankenstein. Random House, 1995.
Shelley, Mary Wollstonecraft. Frankenstein; or, The Modern Prometheus. Oxford UP, 2013 [1818].