Die Einleitung Stephanie Catanis bietet einen Einblick in das Ziel des Handbuches und die einzelnen Beiträge. »Neben der Produktionsebene, die Künstliche Intelligenz als Werkzeug im ästhetischen Prozess sichtbar macht, wird das Handbuch KI als favorisiertes Sujet in unterschiedlichen Kunst- und medialen Erscheinungsformen untersuchen« (4). Dazu kommen in der dritten Gruppe »Diskurse und Kontexte« grundsätzliche Fragen zum Wesen der Kunst und danach einige »Exemplarische Analysen«.

Da nicht alle Beiträge besprochen werden können, wird der Rezensent sich auf Grundsatzfragen und KI als Gegenstand und Verfahren der Literatur beschränken, da diese neben Theater, Film, Anime, bildender Kunst, Musik, Computer- und Videospiel in Anbetracht ihrer allgemeinen Bedeutung zu kurz kommt. Die überbetonte »historische Dimension« wird nicht nachvollzogen; so sucht z. B. Bianca Westermann im Kapitel »Von Schach spielenden Automaten zu malenden Robotern« in der technischen Vorgeschichte künstlicher Automaten umsonst nach KI im eigentlichen Sinne, und Leila Zickgrafs Beitrag »Künstliche Intelligenz als Werkzeug in der Musik – Versuch einer historischen Einordnung« behandelt im Wesentlichen ältere mechanische Musikinstrumente. Dagegen wird die »aktuelle Bestandaufnahme« und mögliche Zukunft hervorgehoben, wie sie z. B. in der SF imaginiert wird.

Der Beitrag von Jana Koehler »Zum Begriff der Künstlichen Intelligenz« ist informativ, erörtert allerdings nicht philosophische Grundfragen wie möglicher Wille, Intention, Bewusstsein und Selbsterhaltungstrieb der KI. Diese sind aber für den immer wieder gezogenen und unvermeidbaren Vergleich mit menschlichen Fähigkeiten unerlässlich.

Der zentrale Beitrag von Maren Conrad »Autorschaft und Künstliche Intelligenz« geht fast als einziger konkret auf die unerlässlichen SF-Texte ein, die Vorreiter auf diesem Feld gewesen sind. Der Beitrag gibt eine gute historische Darstellung von KI als Sujet in der Literatur, genauer als literarische Figur, differenziert nach verschiedenen Epochen und Themen, die in der Antike beginnt und bis zu den aktuellen Grundsatzfragen des »Humanismus, Trans- und Posthumanismus« vorstößt (52 ff.). Dabei trägt er aber dem großen Sprung von der Statue und der mechanischen Maschine zum Computer als geistiger Verarbeitung von Symbolen nicht genügend Rechnung, der bei Theoretikern wie Stanisław Lem oder Ray Kurzweil eine wesentliche Rolle spielt. Konkret geht er z. B. in der »Technologischen Moderne« auf E. T. H. Hoffmanns Die Automate (1814) und Der Sandmann (1816) und Mary Shelleys Frankenstein (1816) ein, in der »Präkybernetischen Moderne« auf Karel Čapeks Arbeitsroboter und Fritz Langs verführerischen weiblichen Roboter in Metropolis (DE 1927), sowie auf Isaac Asimovs prägende Robotererzählungen. In »Schwache KI und Algorithmen als Hilfskonstruktionen« kritisiert er zu Unrecht Dietmar Daths angebliche »Marginalisierung« der KI in seinem Roman Venus siegt, obwohl der Autor gerade da die notwendige Differenzierung von menschlicher und künstlicher Intelligenz leistet. Einen »Super-KI – Supercomputer als antagonistische Supermacht« (76) findet er dargestellt in Herbert W. Franke Zone Null (1980) und Einsteins Erben (1972). Beim »Kritischen Posthumanismus – Erzählexperimente und autonome Künstliche Intelligenz ab 2010« kann er verschiedene neuere Texte anführen.

Die Produktionsseite beschreibt Stephanie Catani im Kapitel »Generative Literatur: Von analogen Romanmaschinen zu KI-basierter Textproduktion« detailliert in der Form einer historischen Aufzählung und erinnert dabei an manche Versuche, die inzwischen vergessen wurden. Bemerkenswert und überzeugend ist ihre Definition, die sich z. B. mit der des Computerpioniers Herbert W. Franke deckt.

Mit generativer Literatur sind im Folgenden Projekte genannt, die codegesteuert arbeiten und in denen in der Regel nicht der abgeschlossene einzelne Text von Interesse ist, sondern der Generierungsprozess – mithin das Konzept, das den Weg von der Idee über das Projektdesign zum generierten Text beinhaltet. (153)

Catani geht auch ausführlich auf Critical Computation ein, den Spezialfall einer feministischen Kunstproduktion gegen Vorurteile, die Regina Ammicht Quinn und Jessica Heesen in ihrem Beitrag »Künstliche Intelligenz, Gender und Kreativität« als allgemeines Problem erörtern.

Hannes Bajohr greift die Leitfrage der Einleitung auf »ob Künstliche Intelligenz lediglich ein neues Werkzeug darstellt oder an die Stelle des:der Künstler:in tritt« (3), besonders im Abschnitt »Werkzeug oder Agent« und kommt er zu folgenden Einschränkungen:

Der Anspruch wirklich »starker« KI-Autorschaft […], die jenseits von Kollaboration, Ko-Kreation und Verteilung zu autonomen Schöpfungen in der Lage ist, ist heutzutage vor allem in der Tech-Branche anzutreffen […]. Nicht in der praktisch-literarischen Arbeit mit Sprachmodellen, sondern im [Silicon] Valley scheint die Grundideologie der KI-Forschung fortzuleben, die Bewusstsein und Intelligenz mit intentionaler Autorschaft kurzschließt, während die Literatur weiterhin im Modus der NLP die strukturierte Hervorbringung von Text verfolgt. (276).

Der ausdrückliche Bezug auf Alain Touring und Max Bense (266 f.) würde logisch zur Erörterung der Kybernetik als Modell literarischen Schreibens führen, wie es z. B. Lem und Franke praktiziert haben (vgl. Esselborn).

Juliane Blanks wichtigste Aussage in »KI-Kunst: Künstlertum – Schöpfung- Originalität« ist die Absage für die mit Computern generierte Kunst an den Geniebegriff des 18. Jahrhunderts, der allerdings immer noch den populären Diskurs prägt (288). Stattdessen schlägt sie eine »posthumanistische Sichtweise auf KI und ihre ästhetischen Erzeugnisse« vor (383). Damit hat die Vorstellung »von Kunst als ›letzter Bastion‹ des Menschlichen« ausgespielt (293).

Mit »KI-Kunst« bezeichne ich alle ästhetischen Erzeugnisse, in deren Produktion Algorithmen und künstliche neuronale Netzwerke eine maßgebliche Rolle gespielt haben – unabhängig davon welchen Einfluss menschliche Akteur:innen auf den Produktionsprozess gewonnen haben […] (281).

Allerdings ist faktisch festzuhalten, dass keine KI bisher von sich aus zu produzieren beginnen kann und »Die meisten Künstler:innen, die Algorithmen und künstliche neuronale Netzwerke nutzen, betrachten diese als Werkzeuge, als neue Technik, die experimentell eingesetzt werden kann« (284).

Catanis Beitrag »Künstliche Intelligenz und Kreativität« zielt voll in die Unterscheidung von Maschinen und Menschen.

Unübersehbar ist, dass der Kreativitätsbegriff dort, wo (populär-)wissenschaftliche Studien, wissenschaftsvermittelnde oder journalistische Beiträge auf computerbasierte Kunst eingehen, nahezu reflexartig bemüht, dabei aber nicht selten gegen die Leistungsfähigkeit generativer Verfahren ausgespielt wird (297).

Kreativität der Maschinen kann abgewertet werden als Recycling aus eingescannten Vorlagen, aber auch nach Dieter Mersch aufgewertet »als Prinzip der Freiheit, als Prozess, der nicht nur Neues erzeugt, sondern den eigenen Schöpfungsprozess als Kunst mitdenkt« (301 f.). Dies gilt besonders für Projekte des Critical Computation in diesem Handbuch, »die sich computertechnologischer Verfahren nicht nur bedienen, sondern diese gleichermaßen selbstreflexiv und gesellschaftskritisch diskutieren« (302).

Der Beitrag von Fabian Schmieder: »Urheberschaft und Künstliche Intelligenz« geht informativ den neu aufgeworfenen juristischen Fragen nach.

Tobias Matzner reduziert seine Aussagen von vornherein auf »informationstechnische Anwendungen, die einer Forschungsrichtung der Informatik entstammen» (317). Damit verzichtet er aber gerade auf die wichtigsten ethischen Fragen, die durch eine mögliche »Science-Fiction-KI« in direkter Konkurrenz zur menschlichen Intelligenz entstehen könnten, auch wenn diese noch Spekulation oder Hoffnung ist. Er erörtert dann die »Unverfügbarkeit von KI, die Kontextgebundenheit ihrer Ergebnisse und die Performativität von Daten« (318), also eher die Praxis als die Ethik. Politisch wird es, »wenn sich staatliche Überwachung und unternehmerische Kommodifizierung parasitär an unseren Aktivitäten bedienen« (326). Relevant ist dabei der Hinweis, dass die KI allgemeine Ähnlichkeiten sucht und deshalb spezifische Individualität kategorisiert, so dass die Camouflage als Gegenwehr belanglos ist.

Der Beitrag von Antonius Weixler »Authentizität und künstliche Intelligenz« ist einer der wenigen, die ausdrücklich auf SF eingehen, besonders Philipp K. Dicks Roman Do Androids Dream of Electric Sheep? (1968) und seine Verfilmung Blade Runner (UK/HK 1982, Regie: Ridley Scott). Dabei gilt: »Authentizität ist im Wesentlichen ein Zuschreibungsphänomen, d. h. die Bewertung eines Textes, einer Person, eines Objektes etc. als ›authentisch‹ findet in der Rezeption statt« (338), nachdem durch diskursive und narrative Verfahren vorgearbeitet wurde. Bemerkenswert ist seine Feststellung: »In Science-Fiction-Welten sind es immer wieder Androiden, die ein Ausmaß an Authentizität zeigen, die Menschen nicht erreichen« (344).

Unter den exemplarischen Analysen findet sich nur ein im engeren Sinne literarischer Text, nämlich Ian McEwans Machines Like Me (2019), besprochen von Heike Mißler; in meinen Augen keine glückliche Wahl, denn es hätte geeignetere deutsche Texte gegeben, die tatsächlich die KI in den Vordergrund stellen (vgl. Maren Conrads Beispiele). McEwan bleibt ganz im Feld menschlichen Fehlverhaltens mit einer kriminellen Vorgeschichte in einer Dreiecksbeziehung mit einem absolut menschenähnlich gezeichneten humaniformen Androiden, berichtet aus der Perspektive eines Mannes. Mißler spricht selbst von einem »Großprojekt einer Erforschung der menschlichen Natur« (370).

Insgesamt bietet das Handbuch nützliche und informative Aufsätze zu verschiedenen Themen im Umkreis von KI und Kunst, mit denen das aktuelle Thema in allen Aspekten systematisch erfasst werden kann.

Autor

Prof. Dr. Hans Esselborn lehrte Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität zu Köln. Schwerpunkte in Lehre und Forschung: Aufklärung und Jean Paul, Klassische Moderne: Expressionismus und Weimarer Republik, Literatur und Film, Interkulturalität, Literatur und Naturwissenschaft/Technik (Science Fiction).

Zur Science Fiction neben zahlreichen Aufsätzen: Die literarische Science Fiction. Textband und Materialienband. Hagen 2000; Utopie, Antiutopie und Science Fiction im deutschsprachigen Roman des 20. Jahrhunderts. Würzburg 2003 sowie Ordnung und Kontingenz. Das kybernetische Modell in den Künsten. Würzburg 2009. Die Erfindung der Zukunft in der Literatur. Vom technisch-utopischen Zukunftsroman zur deutschen Science Fiction. Würzburg 2020. Mitherausgeber der Gesamtausgabe von Herbert W. Franke.

Konkurrierende Interessen

Der Autor hat keine konkurrierenden Interessen zu erklären.

Filmografie

Blade Runner. Regie: Ridley Scott. UK/HK 1982.

Metropolis. Regie: Fritz Lang. DE 1927.

Zitierte Werke

Esselborn, Hans, Hg. Ordnung und Kontingenz. Das Kybernetische Modell in den Künsten. Königshausen & Neumann, 2009.