Ingo Cornils’ Studie reagiert auf ein offenkundiges Bedürfnis nach einem Überblick über die deutschsprachige Science Fiction.1 Das Buch ist informativ für die großen Linien und die Besonderheiten der deutschsprachigen Variation und materialreich für die Romane nach der Jahrtausendwende, denen 38 von 70 detaillierten Besprechungen gelten. Es ist besonders verdienstvoll, weil es einem anglophonen Publikum, z. B. durch häufige Vergleiche mit dem angelsächsischen Bereich und eigenen Übersetzungen von Texten und Forschung die deutsche Version nahe bringt, die nur ganz selten zur Kenntnis genommen wird.

Aus der Absicht des Buches ergeben sich drei Leitfragen: 1. »How German SF has responded to the scientific and technological revolutions over the last 125 years«, 2. »Is there a ›typically‹ German SF?« (12). Die Antwort darauf bildet eine Art roten Faden des Buches:

German SF and German utopian thought tend to reflect specifically ›German‹ concerns stemming from the country’s dark history that in turn has given rise to specific fears and sensitivities about totalitarian control, the fragility of civil society¸ and the environment. (2)

Dies gilt so aber nur für die Zeit nach dem Nationalsozialismus.

Die dritte Frage – »What strategies German SF can offer a global audience to imagine, understand, and respond to challenges of the future« (12) – wird damit beantwortet, dass SF zur ›Zukunftsbewältigung‹ beitrage, einem Schlüsselbegriff, der mehrfach auf Deutsch wiederholt wird.

Bewusst berücksichtigt der Verfasser alles, was irgendwie mit der SF verbunden werden kann. Entsprechend weit ist seine »working definition SF« als »a body of imaginative works that looks in a ›science fictional‹ way […] of approaching our human condition as one that is defined by an ever advancing scientific and technological capability« (8). Dazu kommt der Ausdruck von Hoffnung und Angst.

Das Buch gliedert sich in zwei Teile: »The Great Discourse on the Future« (60 Seiten) und »German Science Fiction in the Twentieth and Twenty-First Centuries« (152 Seiten). Dabei liegt der Schwerpunkt des ersten Teils auf der angelsächsischen Seite, und der deutschen sind nur einzelne Abschnitte gewidmet. Die Abgrenzung zwischen ›utopian thought‹, ›utopian fiction‹ und ›science fiction‹ bleibt vage, da z. B. ›utopian and dystopian narratives‹ wie die SF als ›entertainments‹ bezeichnet werden (59). Bei der deutschen SF wird zu Recht der kulturelle Wandel hervorgehoben. »With the decline of faith in utopian scenarios we are witnessing a corresponding decline of faith in science’s ability to make our lives better. The Fortschrittsglaube […] of the nineteenth and early twentieth century has given way to scepticism« (54).

Der zweite Teil des Buches stellt in 13 Kapiteln deutsche SF-Texte von Kurd Laßwitz’ Auf zwei Planeten 1897 bis zu Andreas Eschbachs Perry Rhodan – Das größte Abenteuer von 2019 und deutschsprachige Filme vor. Dabei werden nach 2010 auch unbekanntere Werke beschrieben und mit Hilfe von Besprechungen gedeutet. Die Abgrenzung der Kapitel und die Verteilung der Romane und Filme auf diese ist nach Aussage des Verfassers nicht zwingend (77). Der zweite Teil sortiert 70 Romane und 20 Filme nach Motiven wie Erstkontakt und Künstlicher Intelligenz, nach Themen wie Posthumanismus und Schock des Neuen, nach Unterformen wie Apokalypse und alternative Geschichte sowie nach verwandten Genres wie Soziale Satire und utopische Experimente ohne zeitliche und systematische Ordnung. Die gemischte Besprechung von Texten und Filmen kann nicht restlos überzeugen, da ein grundlegender Unterschied in der Art der Darstellung und des sozialen und kulturellen Kontextes besteht.

In »First Contact« werden Auf zwei Planeten und Sternentau (1909) von Kurd Laßwitz, dem Begründer der deutschen SF, kenntnisreich gewürdigt. Dabei entdeckt Cornils in dessen Essay »Über Zukunftsträume« (1899) die Grundlagen einer »aesthetics of the future«. Danach erfolgt ein großer zeitlicher und stilistischer Sprung zu Frank Schätzings Der Schwarm (2004).

In »The Shock of the New« stehen die Filme Fritz Langs im Vordergrund, während die einschlägigen Romane Scheerbarts, Kellermanns, Dominiks und Döblins nur kurz erwähnt werden. »Germany’s most visible contribution to SF in the first half of the 20th century was in film« (105).

Bei den »Utopian Experiments« greift Cornils ins 18. Jahrhundert zurück zu Ernst Schnabels Insel Felsenburg (1731–1743), bei der Technik noch keine Rolle spielt. Dies gilt auch für Hermann Hesses Glasperlenspiel (1943). Uwe Timms Ikarien (2017) ist die Biografie eines Eugenikers. Die Technik spielt dagegen eine zentrale Rolle in Werner Illings Utopolis (1930), Ludwig Dexheimers Das Automatenzeitalter (1930), Arno Schmidts Gelehrtenrepublik (1957) sowie Angela und Karlheinz Steinmüllers Andymon (1982).

In »To the Stars« wird die Perry-Rhodan-Serie als Beispiel der Wiedergeburt der deutschen SF in den 1960er-Jahren vorgestellt. Danach folgt eine ausführliche Beschreibung der Fernsehserie RAUMPATROUILLE ORION (DE 1966, Idee: Rolf Honold), in der Cornils das Produkt einer optimistischen Periode der deutschen Geschichte und des Bauhaustils sieht.

Bei »Visions of the End« würde man apokalyptische Vorgänge wie in den späteren Romanen über die Klimakatastrophe erwarten Tatsächlich wird Herbert W. Frankes Computergesellschaft Zone Null (1970) im Vergleich mit Herbert Marcuses Kritik der Konsumgesellschaft und Carl Amerys Untergang der Stadt Passau (1975) besprochen. Der Rest des Kapitels widmet sich den weniger bekannten »postdoomsday novels« Thomas Zieglers und Gerhard Steinhäusers sowie Lars Kraumes DIE KOMMENDEN TAGE (DE 2010).

Die »Virtual Realities« werden ausführlich anhand des Fernsehzweiteilers WELT AM DRAHT (DE 1973) von Werner Fassbinder erläutert, anschließend an Benjamin Steins Replay (2012) sowie Tom Hillenbrands Drohnenland (2014) und Hologrammatica (2018). Hierhin hätten viele Romane Herbert W. Frankes gepasst, der das Thema der Virtualität in die deutsche SF eingeführt hat.

Unter »Alternative Histories« wird zunächst Christian Krachts Roman Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten (2008) behandelt, der dystopische Züge trägt. Dies gilt auch für Wolfgang Jeschkes Das Cusanus-Spiel (2005), das »alternative history, time travel, and parallel world narratives« mischt (161). Mit Andreas Eschbachs NSA – Nationales Sicherheitsamt (2018) wird erstmals ein Roman analysiert, der manifest auf das Dritte Reich Bezug nimmt und so die deutsche Geschichte in einem SF-Text spiegelt.

Unter dem Titel »Big Brother is Watching« analysiert Cornils Romane, die seit der Jahrtausendwende Warnungen vor grenzenloser Überwachung darstellen, weniger als Reaktion auf die Diktaturen der deutschen Geschichte als auf technische Möglichkeiten, nämlich Juli Zehs Corpus Delicti (2009), den die Autorin nicht als SF bezeichnet haben wollte, Theresa Hannigs Die Optimierer (2017) und Die Unvollkommenen (2019) sowie Bijan Moinis Der Würfel (2019).

Als Beispiele für »Artificial Intelligences« dienen Richard M. Weiners Aufstand der Denkcomputer (2014), der an Karel Čapeks berühmtes Roboterdrama R. U. R. (1921) erinnert, Andreas Brandhorsts Das Erwachen (2017) und Frank Schätzings Die Tyrannei des Schmetterlings (2018). Mit Recht wird bei diesen Texten die ambivalente Rolle der Künstlichen Intelligenz und ihre gottähnliche Macht hervorgehoben. Das Randthema »Eternal Life« wird hier vom Film TRANSFER (DE 2010, Regie: Damir Lukačević) und Brandhorsts Ewiges Leben (2018) repräsentiert.

Viele besprochene »Social Satires« tendieren zur Zeitsatire mit bloßem SF-Setting, so Joachim Zelters Schule der Arbeitslosen (2006), Juli Zehs Leere Herzen (2017) oder Karen Duves Macht, eine polemische Karikatur der Männlichkeit. Martin Burckhardts Score. Wir schaffen das Paradies auf Erden (2015) und Marc-Uwe Klings Qualityland (2017) können dagegen aufgrund ihrer computerbestimmten Gesellschaft als SF gelten.

In »Posthumanism« wird mit Dietmar Daths Die Abschaffung der Arten (2008) gleichsam ein Klassiker gut erläutert, während wir uns mit Reinhard Jirgls Nichts von euch auf Erden (2012) im Bereich der pessimistischen Apokalypse bewegen. Leif Randts Planet Magnon (2015) ist dagegen eine ambivalente Heterotopie unter Menschen.

In »High Concept« stehen Romane im Zentrum, die zur Phantastik gehören oder zumindest in diese Richtung tendieren: Marlen Haushofers Die Wand (1963), in der Technik und Wissenschaft keine Rolle spielen und Sebastian Hilgers WIR SIND DIE FLUT (DE 2016). In Thomas Lehrs Roman 42 (2013) verweist die Katastrophe, der Stillstand der Zeit, auf einen wissenschaftlichen Kontext. Anschließend werden die beiden ersten Romane Andreas Eschbachs besprochen, der sich danach als erfolgreicher SF-Autor etabliert hat. Die Haarteppichknüpfer (1995) entwirft aber mit dem mittelalterlichen Milieu des absoluten Sternenkaisers, das auch in Quest eine große Rolle spielt, eine phantastische Welt. Diese könnte eine refeudalisierte Zukunft bedeuten oder »an allegory – for example, of the former communist states« (219). Quest (2001) trägt dagegen auch deutliche Züge einer Space Opera.

Cornils‘ Schluss fasst überzeugend die unterscheidenden Merkmale der deutschen Science Fiction zusammen: »a broad tradition of utopian thought and the nation’s calamitous history in the 20th century« (229). Ebenso zeichnet sie neben der Faszination immer auch eine Skepsis gegenüber dem wissenschaftlichen und technischen Fortschritt aus. Im Vergleich zur stärker aktionsbestimmten anglophonen SF könnte man auch sagen, dass die deutsche idealistischer ist und komplexere Fragen stellt (229).

Insgesamt ist zu sagen, dass Cornils Buch für den anglophone Leser eine große Lücke füllt und für den deutschen Leser ebenso nützlich und informativ ist. Seine längeren Beschreibungen vermitteln ein gutes Bild der behandelten Texte und Filme. Zu den Besonderheiten der deutschen Variation besonders in der Nachkriegszeit liefert er interessante Bemerkungen und mit dem Begriff der Zukunftsbewältigung hat er ein neues Stichwort für die SF gegeben.

Autor

Hans Esselborn ist emerierter Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Köln. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Aufklärung, Jean Paul, die deutsche Literatur des frühen 20. Jahrhunderts, Interkulturalität und Science Fiction. Er ist der Autor von Georg Trakl. Die Krise der Erlebnislyrik (1981), Das Universum der Bilder. Die Naturwissenschaft in den Schriften Jean Pauls (1989), Die literarische Science Fiction (2000), Die Erfindung der Zukunft in der Literatur. Vom technisch-utopischen Zukunftsroman zur deutschen Science Fiction (2019) sowie der Herausgeber von Utopie, Antiutopie und Science Fiction (2003), Ordnung und Kontingenz. Das kybernetische Modell in den Künsten (2009) und Mitherausgeber des Gesamtwerks Herbert W. Frankes (seit 2014).

Notes

  1. Vgl. Esselborn, Frey, Fortschritt, sowie Frey, Aufbruch. [^]

Konkurrierende Interessen

Der Autor hat keine konkurrierenden Interessen zu erklären.

Zitierte Werke

Esselborn, Hans. Die Erfindung der Zukunft in der Literatur. Vom technisch-utopischen Zukunftsroman zur deutschen Science Fiction. Königshausen & Neumann 2019.

Frey, Hans. Aufbruch in den Abgrund. Deutsche Science Fiction zwischen Demokratie und Diktatur. Memoranda, 2020.

Frey, Hans. Fortschritt und Fiasko. Die ersten 100 Jahre der deutschen Science Fiction. Memoranda, 2018.