1. The ›Case‹ of Cyberpunk: Japonismen
Zu Beginn von William Gibsons ikonischem Cyberpunk-Roman Neuromancer (1984) schlägt sich Protagonist Case in nicht allzu ferner Zukunft durch die dunklen Gassen von Ninsei, einem Distrikt in Chiba, Japan. Dort, unter der Beleuchtung von grellen, sterilen und doch abgenutzten Neonreklamen, fristen die Bewohner*innen ein Leben in einer von Technologie durchzogenen Welt. Auch die Menschen sind nicht frei von solch technologischen Eingriffen: Die Augen einer Prostituierten sind spiegelnde Reflektoren, der Arm des Barkeepers ist eine in Russland produzierte Prothese; in Hinterhöfen werden Operationen durchgeführt, Implantate eingesetzt oder gewechselt, billig für diejenigen mit »New Yen« und teuer für diejenigen ohne. Cases Schicksalsgefährtin Molly verfügt über in die Fingerspitzen eingesetzte Klingen und Augen wie eine verspiegelte Brille. Case selbst kann nicht mehr high werden – eine Operation hat dafür gesorgt, dass Narkotika unwirksam bleiben. All das geschieht in einem Noir-Setting, in dem kriminelle Machenschaften herrschen und das Gesetz außen vor bleibt. Jede*r scheint auf sich gestellt und jede*r ist in eigener Weise mit Technologie verbunden. Bereits im ersten Kapitel von Gibsons Roman wird klar: Ninsei ist von Cyborgtechnologie und -Implantaten durchzogen – »Night City [Ninsei] wasn´t there for its inhabitants, but as a deliberately unsupervised playground for technology itself« (Gibson 11).
Der SF-Autor Gibson verortet diese Welt in Japan, genauer gesagt in Chiba, gelegen in der Bucht von Tokyo wie auch Yokohama. Heute ist sie eine Hafen- und Industriestadt mit Kraft- und Stahlwerken. Eine gute Schienenanbindung macht die Metropole mit knapp einer Million Einwohner*innen zu einem Knotenpunkt im japanischen Eisenbahnsystem. Dieser Ort der Industrie fungiert – in die Zukunft transportiert – als Kulisse für Gibsons Roman. Der industrielle Charakter des Hafens taucht wiederholt in den ersten Seiten des Narrativs auf und eine Vielzahl an japanischen Begriffen sticht geneigten Lesenden ins Auge: kirin (きりん ビール, eine beliebte japanische Biermarke), shuriken (手裏剣, Wurfsterne) und natürlich der sarariman – der salaryman (サラリーマン) (Gibson 3, 12, 10). Damit wird im japanischen Sprachgebrauch ein typischer Angestellter bezeichnet, in Bürokleidung und in einer gewissen Weise uniform. Gibson lässt die Begriffe unübersetzt und evoziert damit den Eindruck von Alltäglichkeit und Normalität. In der Welt von Case und Molly sind diese Worte längst Gewohnheit. Zusätzlich flackern Namen von Firmen und Konzernen wie Fuji oder Mitsubishi im Neonschein auf den Straßen (10, 6). Kurz, der japanische Kulturraum ist allgegenwärtig und doch ist er durchzogen von gaijin (外人), Ausländern (11). Im Titel der von Case frequentierten Bar, dem Chatsubo, japanisch für Teeglas (茶壷) – oder kurz dem Chat, englisch für ein kurzes Gespräch – wird die Vermischung verschiedener Kulturkreise und Sprachen offensichtlich. Im Chat könne man sich wochenlang aufhalten, ohne nur ein Wort Japanisch zu hören (3).
Genauso weist Ridley Scotts berühmter Film Blade Runner (Der Blade Runner, US 1982, Regie: Ridley Scott) Bezüge zu Japan auf, zeichnet der Film doch ein Bild von Los Angeles in visueller Nähe zu Tokyo (Bolton et al. xi; Tatsumi 44). Harrison Ford ist hier ein Blade Runner, ein Kopfgeldjäger, der sogenannte Replikanten jagt, biotechnisch geschaffene Androiden, die sich äußerlich nicht von Menschen unterscheiden. Diese dienen als Arbeitskräfte für Aufgaben, die Menschen nicht verrichten können bzw. wollen. Der Protagonist Deckard streift auch hier durch dunkle Gassen, bevölkert mit asiatisch erscheinenden Menschen, die Ölpapierschirme tragen.1 Zu sehen sind Neonreklamen mit japanischen Schriftzeichen, Decker isst an Straßenständen japanisches Essen und sucht die Hilfe einer asiatisch anmutenden Technik-Expertin (Abb. 1 u. 2). Überall ist das Asiatisch-Japanische anwesend, sodass sogar die Polizeifahrzeuge mit keisatsu (警察), japanisch für Polizei, beschriftet sind (Abb. 3).2 Eine riesige Werbewand, die im Film wiederholt zu sehen ist, zeigt zudem zu Beginn eine japanisch anmutende Reklame inklusive einer Geisha (Abb. 4), bevor dort später das Logo von Coca Cola zu sehen ist (Abb. 5). All dies wird, wie in Gibsons Roman, wie selbstverständlich in in der filmischen Diegese hingenommen und nicht weiter erklärt. Weil der Film einen asiatischen Raum suggeriert, der nicht zwischen verschiedenen kulturellen Räumen zu unterscheiden scheint, wird im Folgenden von asiatisch-japanischen Figuren oder Kontexten gesprochen, um diesem Umstand Rechnung zu tragen.
In Anbetracht dessen darf es nicht wundern, dass aufgrund dieser Verbindung Blade Runner und Neuromancer oftmals in einem Atemzug genannt werden (Kamioka 43 f.). Beide Werke gelten heute als Standards des Cyberpunk (Nakamura 61 f.) und in beiden US-amerikanischen Darstellungen sind Verbindungen zum japanischen Kulturraum offensichtlich (Bolton et al., xi). Speziell Gibsons Zukunftswelt wird attestiert, »an adrenalized dreamscape Japan as their model for the future« (Bolton et al., xi) genommen zu haben, was sich ohne Weiteres auf die Welt von Blade Runner übertragen lässt. Damit sind Blade Runner und Neuromancer ästhetisch archetypisch für das Cyberpunk-Genre. Dessen japanoide Darstellungen scheinen mittlerweile bekannt, akzeptiert und oftmals wie selbstverständlich hingenommen. Sie überraschen heutzutage kaum noch, nachdem Filme wie u.a. Minority Report (US 2002, Regie: Steven Spielberg) und vor allem The Matrix (Matrix, US 1999, Regie: Larry Wachowski, Andy Wachowski) auch in Hollywood-Blockbustern asiatisch-japanische Zeichen und Elemente etabliert haben. Zuletzt griff das 2020 erschienene und auf den Pen&Paper-Rollenspielen Cyberpunk 2020 und Cyberpunk Red (beide 1988) von Mike Pondsmith basierende Computerspiel Cyberpunk 2077 (CD Projekt RED, 2020) diese Ästhetik prominent wieder auf. Auch darin lassen sich zahlreiche Verweise auf den japanischen Kulturraum durch japanische Schriftzeichen in den Neonreklamen von Night City, dem Setting des Spiels, und den Nebenfiguren finden.
Doch warum Japan? Was bewegte US-amerikanische SF-Autoren in den 1980er-Jahren dazu, den Blick nach Japan zu wenden? Um dies zu verstehen, muss zunächst geklärt werden, in welcher Zeit die Cyberpunk-Fiktionen entstanden sind, d. h. welche gesellschaftlichen Veränderungen in den USA der späten 1970er- und 1980er-Jahren vonstattengingen. Denn diese hatten maßgeblichen Einfluss auf die Fiktionen der Cyberpunk-Autor*innen, schreibt Medienwissenschaftlerin Jiré Emine Gözen, die im deutschsprachigen Raum die bislang einzige umfassende Untersuchung von Cyberpunk-Literatur vorgelegt hat (85).
Im Folgenden soll nun zunächst der Fokus auf den historischen und politischen Faktoren liegen, die die 1980er-Jahren in den USA prägten und somit auch den soziopolitischen Hintergrund für den literarischen Cyberpunk und ebenso Scotts Blade Runner bilden. Es soll gezeigt werden, wie erstens die Zunahme an Alltagstechnologie in den 1980ern den Blick nach Japan lenkte und zweitens ebendies zu einer anitijapanischen Einstellung in den USA führte. Beides schlägt sich in den Narrativen des Cyberpunk nieder. Vor diesem Kontext bleibt zu klären, wie die japanoiden Bilder im Cyberpunk zu bewerten sind. Dazu werden sowohl Blade Runner als auch Aspekte des Spiels Cyberpunk 2077 eingehend betrachtet. Schließelich wird die Serie Cyberpunk: Edsgerunners (Regie: Hiroyuki Imaishi, Yoshiyuki Kaneko, PL/JP 2022), die auf dem Spiel aufbaut, in den Blick genommen. Auf diese Weise werden die Anfänge des Genres sowie seine aktuelle Darstellung untersucht.
2. Cyberpunk-Ursprünge: Alltägliche Technologie in den 1980ern
Der literarische Cyberpunk geht auf die Mirrorshades-Group zurück, einer Gruppe junger SF-Autoren, die sich Ende der 1970er- bis Anfang der 1980er-Jahre formierte. Das Vorwort von Bruce Sterling, einem der Pioniere des Cyberpunk, in der Anthologie Mirrorshades (Spiegelschatten, 9–21) kann als eine Art nachträgliches Manifest des Cyberpunk gelten (Murphy 17 f.).3 Das Ziel der Gruppe war es, eine neue Art von SF zu schreiben, die sich abseits der etablierten Schemata der klassischen SF bewegen konnte. Der Name des Genres – Cyberpunk – wurde erst später durch die gleichnamige Kurzgeschichte von Bruce Bethke (1983) geprägt, in der junge Hacker, genauer gesagt Punks, die mit den vorangeschrittenen Technologien ihrer Zeit aufgewachsen sind, Diebstähle und andere vermeintliche Jugendstraftaten begehen (Gözen 86 ff.; Murphy 14–17). Klassische SF richtet den Blick nach außen, quasi im Geiste einer aufgeklärten Kolonialisierung und Erforschung des Unbekannten außerhalb anthropologischer Grenzen in ferner Zukunft. Die Cyberpunk-Autoren hingegen richten den Blick auf die sich im Zuge aufkommender Technologie verändernde Lebensrealität (Gözen 88–97, 99–104). Technologische Implantate und Hacken sind dabei Themen, die die Cyberpunk-Autoren beschäftigen (Murphy 18; Sterling 14). Sterling betont eine Verschränkung von Popkultur, Gegenkultur und Technologie in den 1980er-Jahren, die die Cyberpunk-Autoren beeinflusst hätten. Im Sinne der Mentalitätsgeschichte liegt es nahe, rückblickend von einem Zeitgeist, der durch die zunehmende Technologisierung der Alltagswelt geprägt war, zu sprechen.4 Im Folgenden soll ein kurzer Abriss der Geschichte und Wahrnehmung der technologischen Entwicklung in den 1980ern einen Eindruck von den damaligen Hintergründen vermitteln.
Mit der Markteinführung des ersten IBM Personal Computers 1981 wurde der Computer neben der Industrie auch im Heimbereich als PC (Personal Computer) nutzbar und verbreitet. Besonders durch den Wechsel vom Fokus auf fachspezifische Geräte, die nur im professionellen Bereich zu nutzen waren, hin zur Bewerbung von Computern, die für den Heimgebrauch gedacht waren, wurde der PC in der Gesellschaft verankert (Ehrmanntraut 146–57). Spätestens 1982 sorgte der berühmte Commodore 64, kurz C64, einer der bis heute meistverkauften Computer der Welt für eine wachsende Community von PC-Nutzenden. 1984, als auch Neuromancer erschien, lancierte Apple seinen Macintosh, den ersten PC, der vor allem von der Maus gesteuert wurde (Computer History Museum). Anhand dieser wenigen Eckdaten lässt sich erahnen, welch rapide technologische Entwicklung zu Beginn der 1980er-Jahre die Welt erfasst und welchen Einfluss dies auf das alltägliche Leben hatte.
»A New World Dawns« lautete dementsprechend die Titelstory des Time Magazine am 3. Januar 1983. Darin schreibt Roger Rosenblatt, der Computer sorge für eine neue Öffnung, nachdem das Land durch die Maschinen in die Nationalparks verbannt worden sei. Der Computer hingegen ermögliche Zeit für Träume, die soziale Gleichheit und Freiheit bedeuteten. Das Cover des Magazins zierte der Titel: »Machine of the Year. The Computer Moves In«. Zu diesem Zeitpunkt besaßen laut Rosenblatt bereits vier Millionen Amerikaner einen PC. Aufgeladen mit der poetischen und verheißungsvollen Bedeutung eines Heilsbringers verbreitete sich das technologische Novum unaufhaltsam in den privaten Haushalten und öffentlichen Einrichtungen.
Welchen Einfluss dies auf das alltägliche Leben hatte und wie dies von den Menschen wahrgenommen wurde, ist heute kaum noch nachzuvollziehen. Klar ist jedoch, dass sich die Gesellschaft durch Technologie maßgeblich veränderte und nach wie vor verändert. »Theories based on the concept of information have so permeated modern culture that it now is widely taken to characterize our times. We live in an ›information society‹, an ›age of information‹«, schreibt der Historiker Michael S. Mahoney bereits 1988 (113). Für die jungen SF-Autor*innen des Cyberpunk war der alltägliche Kontext, vor allem bezogen auf die Nutzbarkeit von Technologie, folglich ein grundsätzlich anderer als es für frühere Autor*innen der Fall war. Die utopischen oder gar soteriologischen Qualitäten des PC, wie sie Rosenblatt angemerkt hatte, werden im Cyberpunk allerdings dystopisch konterkariert: Turbokapitalistisch organisierte Großkonzerne wie die Tyrell-Cooperation in Blade Runner – eine zaibatsu, was im Japanischen familiengeführte Unternehmen bezeichnet – kontrollieren die Gesellschaft; Technik wird sowohl zur Kontrolle als auch zur Bestrafung eingesetzt wie in Neuromancer im Fall von Case, dem die Fähigkeit als console cowboy in den Cyberspace einzutauchen durch eine erzwungene neuro-chemischen Prozedur genommen wird – eine Bestrafung von einem Arbeitgeber, den er bestohlen hatte und der daraufhin Cases Lebensgrundlage, die Technologie, wiederum mittels Technologie für diesen unzugänglich macht (Gibson 6). In Blade Runner erschafft die Technik in Form von Replikanten Subjekte, die gleichsam als Objekte technikbasierter Kontrolle unterliegen: Ihnen ist eine Art ›Verfallsdatum‹ eingebaut, das ihre Lebensspanne auf nur vier Jahre begrenzt und sie lassen sich als Replikanten mit dem technologisch unterstützten Voight-Kampff-Test, der an einen Turing-Test angelehnt scheint, identifizieren. Replikanten, die nicht ihrer vorgesehen Rolle entsprechen, werden so ausfindig gemacht und aussortiert. Nicht in blindem Optimismus angesichts der neuen Möglichkeiten, die der PC im US-amerikanischen Alltag verheißt, ziehen die Cyberpunk-Autor*innen eine ebenso verheißungsvolle wie ernüchternde Bilanz. Während man Rosenblatts Ausführung noch mit einem quasi kolonialistischen Entdeckergeist des ›westlichen‹ Humanismus in Verbindung bringen kann, der den PC als Tool für eine ›neue Welt‹ begreift, die es zu erobern gilt, sind sich die Figuren im Cyberpunk hingegen nur allzu bewusst, dass diese neue Welt sie selbst auf ambivalente Art und Weise verändert.
3. Kassetten and TVs: Japan als Ort der Zukunft
Als spezifischer Ort stellvertretend für diese neue Welt der Zukunft wurde Japan gewählt oder etwas, das sich an Bildern bediente, die an den japanischen Kulturraum angelehnt waren. Solche sind wie beschrieben im Cyberpunk allgegenwärtig.5 Obwohl Gibson zum Zeitpunkt, als er Neuromancer schrieb, noch nie in Japan gewesen war (Bolton et al. ix; Tatsumi 46), war Japan innerhalb der Mirrorshades-Group ein Thema: An einem Wochenende im Oktober 1982 trafen Bruce Sterling, Lewis Shiner und William Gibson das erste Mal persönlich aufeinander, als sie zusammen auf einer Messe auftraten. Anschließend verbrachten sie die Zeit in Sterlings Wohnung, hörten japanische Popmusik, »but mostly we talked about rock and roll, MTV, Japan, fashion, drugs, and politics«, kommentiert Sterling (zit. n. Gözen 75).
Die Ursache dafür kann vor allem in der wirtschaftlichen Beziehung der USA zu Japan im Bereich der Technologie gefunden werden: High Tech im Allgemeinen werde mit ›Japanisch‹ assoziiert, schreiben 1995 David Morley und Kevin Robins in Bezug auf Bilder des Cyberpunk (168). Dessen Japonismen sind folglich erstens auf die Zunahme alltäglich nutzbarer persönlicher Technologie wie den PC und zweitens auf eine Zunahme der japanischen Technik-Produkte in den USA zurückzuführen. Diese spielten eine große Rolle zur Zeit der Entstehung von Cyberpunk-Fiktionen. Als Beispiel für die Einstellung, die in den USA der 1980er in diesem Sinne gegenüber Japan herrschte, dient eine Szene aus dem Film Die Hard (Stirb Langsam, US 1988, Regie: John McTiernan). Die Figur Joe Takagi (James Shigeta), Präsident von Nakatomi Trading mit Sitz am Nakatomi Plaza – eigentlich Fox Plaza in Los Angeles und Sitz einer kalifornischen Firma – entgegnet auf die Aussage des Protagonisten John McClaine (Bruce Willis) , dass dieser nicht wisse, ob man in Japan Weihnachten feiere, folgendermaßen: »Hey, we’re flexible. Pearl Harbor didn’t work out, so we got you with tape decks«. Während die US-amerikanische Wirtschaft nämlich stagnierte, florierte die japanische vor allem in den technologischen Bereichen (Paulk 479 f.). In der New York Times zieht Theodore H. Whites Artikel »Danger From Japan« 1985, ein Jahr nach Gibsons Neuromancer, Bilanz: Obwohl die meisten technologischen Erfindungen wie Radio und TV in den USA gemacht worden seien, würden die meisten technologischen Artikel aus Asien stammen; Videorekorder würden generell in Japan produziert und japanische Motorräder zu 95 Prozent den US-amerikanischen Markt dominieren. Seit 1979 hätten die USA wegen der aufsteigenden Industrie Japans 1’834’000 Jobs verloren (19). Whites Artikel steht stellvertretend für eine Haltung und Wahrnehmung, die man in den USA der 1980er-Jahren vorfand. Während Japan den Import selbst stark einschränkte, führten die wirtschaftlichen Aspirationen von japanischen Firmen in den USA dazu, dass diese mit massiven Drohungen, den Import japanischer Produkte zu beschränken, reagierten, um U.S.-amerikanische Firmen zu schützen, was schließlich 1990 in Import-Zugeständnissen seitens der Japaner mündete (Zeng 127–67). In ökonomischer Hinsicht kann beiden Nationen eine protektionistische Handelsstrategie attestiert werden.
Die sich technologisch verändernde Alltagswelt, die die Cyberpunk-Autor*innen zu ihren Werken inspirierte, war demnach zunehmend auch durch japanische Technologie gekennzeichnet. Namen wie Fujitsu, Mitsubishi, Honda und Sony, um nur einige zu nennen, hatten einen Status der Allgemeinbekanntheit erlangt. Amerikanische Produkte wie Halbleiter des US-Konzerns Intel mussten mit günstigeren Preisen konkurrieren. Dies führte auch dazu, dass mehr Menschen in der Lage waren, sich diese Produkte zu leisten. Dementsprechend findet sich Hitachi-Technologie auch in Neuromancer wieder, etwa als billiger Alltagscomputer in Cases Schlafkapsel in Chiba City (21, 22). Auch Cases »deck«, seine Ausrüstung zum Eintauchen in den Cyberspace, besteht aus japanisch anmutender Technologie: einem »Ono-Sendai Cyberspace 7. […] The Ono-Sendai; next year’s most expensive Hosaka computer; a Sony monitor« (46). In Blade Runner zeigt sich die Alltäglichkeit japanischer Technologie vor allem in Form der im Film überall präsenten Neonreklamen mit japanischen Schriftzeichen, die z. B. Restaurants bewerben (Abb. 6).
Der japanische Literaturwissenschaftler Takayuki Tatsumi vertritt die These, dass in den 1980er-Jahren ein Wechsel zu einer »then rising ideology of the Pax Japonica« stattgefunden habe (44). Die nach Tatsumi vormals vorherrschende Pax Americana, also die Hegemonie der USA als Repräsentant und gleichzeitig Hüter der ›westlichen‹ Weltordnung, werde in den 1980er-Jahren von der Pax Japonica abgelöst. Cyberpunk-Autoren wie Gibson hätten realisiert, dass die Zukunft an den USA vorbeigezogen sei und sich in den 1980er-Jahren vielmehr in Japan abspielte (45).
Dass Japan so als Ort der Zukunft dargestellt wird, geschieht allerdings in einem problematischen Kontext: Der offensichtliche wirtschaftliche Konflikt zwischen den USA und Japan machte Japan zu einem national-kulturellen Feindbild der USA. Whites Artikel in der New York Times ist dementsprechend gezeichnet von einem Phänomen, das als ›Japan Bashing‹ bezeichnet wird. Man kann und muss dem aus heutiger Perspektive eine rassistische Denkweise attestieren. Denn White sieht einen Bezug zum Sieg der USA über Japan im Zweiten Weltkrieg und deklariert den Industriekonflikt als Fortsetzung des damaligen Krieges, in dem die USA Japan eindeutig besiegt hätten und den Japanern so überlegen gewesen seien. Aus dem Handelskonflikt wird so ein essentialistisches ›Wir-Gegen-Sie‹. McClanes Aussage in Die Hard bezüglich Weihnachten in Japan kann man vor diesem Hintergrund wohlwollend als genuine Unwissenheit auslegen. In Zusammenhang mit Takagis Antwort entsteht jedoch vornehmlich der Eindruck, dass es sich vielmehr um eine Befremdung des US-Amerikaners McClane gegenüber Japan und dem wirtschaftlichen Erfolg, den die Weihnachtsfeier der japanischen Firma Takagis zu Schau stellt, handelt. Damit geht ein Herabsetzen dieses Landes, seiner Kultur und seiner Einwohner, die wahrscheinlich nicht einmal Weihnachten feiern, einher. Takagi spricht somit indirekt die von White in der New York Times geäußerte Befürchtung aus, dass es eine Art wirtschaftliche Techno-Offensive der Japaner als Rache für die Niederlage im Zweiten Weltkrieg gäbe. Die Hard zementiert in dieser Weise ein rassistisches ›Japan Bashing‹, das sich in den 1980ern auch popkulturell niederschlägt. Dies mag auch darin liegen, dass Cyberpunk mit Frederic Jameson als » expression of transnational corporate realities as it is of global paranoia itself« (38) verstanden werden kann. Eine in dieser Relität entstandene Attitüde, die dem japanischen Kulturraum feindlich gegenübersteht, mag sich auch im Cyberpunk wiederfinden und wurde dort zuerst von Morley und Robbins 1995 mit dem Schlagwort Techno-Orientalismus benannt. Dieser soll im nächsten Kapitel näher beleuchtet werden.
4. Techno-Orientalismus
Das Konzept des Techno-Orientalismus bezieht sich auf Edward Saids Orientalismus (1978). Darin kritisiert Said, dass das Bild vom ›Orient‹, das in der ›westlichen‹ Kunst und Literatur gezeichnet wird, durch die Präkonzepte ihrer Macher*innen geprägt sind. Sie stellen den ›Orient‹ als das Fremde, das Andere oder das Exotische dar und fetischisieren diesen damit. Indem der ›Orient‹ deshalb als das irrationale Magische abgewertet wird, werden ›westliche‹ Werte gleichsam aufgewertet (Attia ff.; Dunker 200–04; Morikawa 58 f.). Auch die Betrachtung des japanischen Kulturraums (Malerei, Holzschnitte und Architektur) im ausgehenden 19. Jahrhundert lässt sich vor der Folie des Orientalismus betrachten (McCaffery xiii; Morikawa 58 f.; Violet 215–20; Wetzel 14–17).
Im Cyberpunk werde Morley und Robbins zufolge ein ebensolches Konzept von Fetischisierung und ›Othering‹ angewandt, indem das hoch technologisierte Japan mit dem prämodernen und damit dem Westen unterlegenen Japan verknüpft werde. Demzufolge wird japanische Technologie orientalistisch fetischisiert, d. h. zum Objekt der Begierden und Faszination gemacht, indem moderne Technologie mit der Prämoderne (etwa Geishas und Samurais) in Zusammenhang gestellt werden. Dabei handle es sich oftmals um die ›westlichen‹ »stereotypes of Fujiyama-geisha-sushi-harakiri« (Tatsumi 11). Die Technologie wird damit nicht auf die Stufe der ›westlichen‹ Moderne gestellt, die sie bedroht, sondern in den Bereich des Exotischen verschoben, indem »pachinko [ein Arcade-Spielautomat] and computer games simply as the postmodern equivalents of zen and kabuki« (Morley und Robins 169, Hervorhebung im Original) gesehen werden. Dies ist insofern signifikant, als die Idee von Moderne immer mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und damit einhergehendem technologischen Fortschritt zusammen gedacht wird. Gleichzeitig wird der Gedanke der Moderne mit dem ›Westen‹ verknüpft, der als deren Ursprung empfunden wird (Morley und Robins 159 f., 167). Indem in der Fiktion japanoide Bilder vom prämodernen Japan mit Technik in Zusammenhang gebracht werden, werden die Errungenschaften der modernen japanischen Technologie mit dem feudalen, der ›westlichen‹ Moderne unterlegenen Japan in Verbindung gebracht. Der japanische Kulturraum, dessen Wirtschaft die Vormachtstellung der USA in den 1980er-Jahren bedrohte, soll in der Fiktion implizit abgewertet und beherrschbar gemacht worden sein, indem Cyberpunk-Autor*innen die technologischen Darstellungen ihrer Fiktionen an japanoide Bilder knüpfen, jedoch kaukasische Held*innen als zentrale Protagonisten einführen, fasst Charles Paulk (481 f.) zusammen. Ebenso formuliert Brian Ruhr (401): »projections and fears of Japan were critical to the popular conception of western cyberpunk during its formation in the 1980s«.
Des Weiteren wird die technologische Überlegenheit mit »an inhuman, mechanical quality inherent in the Japanese people themselves« (Paulk 481) assoziiert. Ohne ein gewisses, quasi inhumanes Mindset wäre der Erfolg der japanischen Technologie gegenüber der ›Westlichen‹ nicht möglich. Dementsprechend kann die Technologie zwar als überlegen gelten. Gleichzeitig kann sich der ›Westen‹ auf einer moralischen Ebene gegenüber Japan profilieren, indem man sich als das humanistische Ideal begreift. Darin liege nach Morley und Robins eine zutiefst rassistische Denkweise: »The association of technology and Japaneseness now serves to reinforce the image of a culture that is cold, impersonal and machine-like, an authorial culture lacking emotional connection to the rest of the world« (169).
Die Herabsetzung eines ›asiatischen‹ Mindsets gegenüber dem ›westlichen‹ ist nichts Neues: In den USA des 19. Jahrhunderts wurden asiatische Arbeiter*innen »as a form of expendable technology« (Huang et al. 10) angesehen, was auf rassistischen Vorurteilen gründete. Asiatische Körper bräuchten weniger Fürsorge und könnten so härtere Belastungen überstehen. Insofern wurden bereits in der Zeit der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts asiatische Personen entmenschlicht. Als Maßstab diente dabei stets das humanistisch ›westliche‹ Konzept vom autonomen ›Menschen‹ (Huang et al. 10 f.).6
Ein solches Machtgefälle und die diesem implizite Abwertung wird auch in der gezeigten Haltung in den USA der 1980er gegenüber Japan sichtbar: Whites Artikel zeigt den Überlegenheitsanspruch, auch durch den Sieg im Zweiten Weltkrieg begründet, gegenüber Japan und offenbart gleichzeitig eine Wut und Frustration darüber, dass die unterlegene Nation die USA im industriellen Wettrennen und dem technologischen Fortschritt überholte. Insofern essentialisiert White die USA und auch Japan als Gegenpol, ganz wie es der kurze Wortwechsel zwischen McClane und Takagi illustriert: Werte und Tradition gegen Massenproduktion – McClanes Weihnachten gegen Takagis Kassetten.
Morley und Robbins machen ihr Konzept des Techno-Orientalismus vor allem an Gibsons Neuromancer fest. Gibson verknüpfe ein anachronistisches Bild von einem feudalen Japan mit dem einer Hightech-Nation (169). In ähnlicher Manier stellt Charles Paulk (481) fest: »Throughout the novel, there is a juxtaposition of bleeding-edge Japanese hardware with romantic, anachronistic images from the nation’s feudal past«. Als Beispiele für die japanische Feudalzeit sind unter anderem die Wurfsterne, shuriken, die Case in einem Schaufenster in Ninsei begutachtet, oder der Ninja Hideo zu nennen (Gibson 157, Nakamura 69). Laut Nakamura (63–67) vertreten die weißen Figuren zudem einen Hegemonialanspruch, indem sie mit japanischer Technologie den Cyberspace ›erobern‹. Dagegen hält Paulk (482 ff.) fest, dass auch subversive Elemente, die der antagonistische Tessier-Ashpool-Clan, der eher an eine Karikatur ›westlichen‹ Adels erinnere, in Neuromancer zu finden seien und Nakamuras Argumentation nicht am Text festzumachen sei, da nie erwähnt werde, dass der Protagonist Case gegen japanische zaibatsu kämpfe, wie Nakamura es nahelegt. Mit dem Ninja Hideo, ein Klon im Dienste des Tessier-Ashpool-Clans, werde zudem auf den ›westlichen‹ Anspruch auf die Verfügbarkeit fremder, d.h. feudal-japanisch konnotierte Technologie, verwiesen (Paul 491). In diesem Sinne ist bereits innerhalb des Narrativs von Neuromancer ein Hinweis auf techno-orientalistische Mechanismen seitens des ›Westens‹ gegeben.
Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden untersucht, ob und inwiefern sich techno-orientalistische Mechanismen in Ridley Scotts Blade Runner und im Rahmen der formalästhetischen und narrativen Struktur des Spiels Cyberpunk 2077 finden lassen. Denn wie Ruhr (405) richtig anmerkt, lassen sich auch aktuell mit der Hollywood-Adaption Ghost in the Shell (US 2017, Regie: Rupert Sanders) oder der Netflix-Serie Altered Carbon (US 2018, Idee: Laeta Kalogridis) Beispiele für ein problematisches Verhältnis des ›Westens‹ zum japanischen Kulturraum im Sinne von techno-orientalistischen Mechanismen finden.7 Man kann Blade Runner als den archetypischen Cyberpunk-Text betrachten. Cyberpunk 2077 hingegen kann als das Narrativ gelten, dass das Genre aktuell verkörpert. Insofern können aus der Betrachtung der beiden Fiktionen erstens die Grundlage techno-orientalistischer Mechanismen und zweitens die etwaige Veränderung dieser in der heutigen Zeit ersichtlich machen. Der Umgang mit den japanoiden Bildern des Cyberpunk scheint nämlich nach wie vor von aktueller Bedeutung.
4.1. Techno-Orientalismus in Blade Runner
Wie verhält es sich nun in Ridley Scotts Blade Runner? Wie bereits beschrieben, weist auch der Film eine Fülle von Japonismen auf, die teilweise ebenso das feudale Japan beschwören. Dies ist vor allem in Form der riesigen Reklametafel mit Geisha der Fall (Abb. 4). Geisha bezeichnet eine Profession und meint wörtlich »Darstellende Künste« (芸 – gei) und »Person« (者 – sha). Der Beruf der Geisha entstand vor allem innerhalb, aber auch außerhalb der Vergnügungsviertel im Japan des 18. Jahrhundert, sodass die Abgrenzung zur Prostitution nie trennscharf gezogen wurde. Dementsprechend werden sie in Japan heute häufig diesem Bereich zugeordnet. In einer ›westlichen‹ Sichtweise verkörperten Geishas »all the allure of the mysterious East. The very word conjures up an image of doe-eyed maidens who chatter charmingly, pour men’s drinks, laugh at their jokes, and satisfy their every desire« (225), konstatiert die britische Journalistin Lesley Downer, die viele Jahre in Japan gelebt hat. Dementgegen verstünden sich Geishas eher als Künstlerinnen vergleichbar Ballerinas oder Opernsängerinnen (223 ff.). In Blade Runner wird in Form der Werbung dem ›westlichen‹ Verständnis von Geishas eine Plattform gegeben: Die Werbetafel zeigt das Close-Up einer Geisha, wie diese scheinbar lasziv eine Tablette in den Mund nimmt (Abb. 7). In dieser Weise wird Hightech in Gestalt des eine Vielzahl von Stockwerken messenden Werbedisplays – eine überdimensionierte Ausgabe des NY Time Square oder der Shinjuku Kreuzung in Shibuya, Tokyo – mit einer Figur des feudalistischen Japans, nämlich der Geisha, zusammgestellt und untermauert so die ›westliche‹ Hegemonie im Sinne des Techno-Orientalismus, weil dadurch die Technologie in den Bereich der dem ›Westen‹ unterlegenen Prämoderne gezogen wird. Die Technologie ist zwar zukunftsorientiert und fortschrittlich, ihr Inhalt aber scheinbar rückwärtsgewandt, prämodernistisch und primitiv in der Hinsicht, dass sie sich mit der Befriedigung eines sexuellen Fetischs auseinandersetzt.
Des Weiteren ist hervorzuheben, dass die wenigen asiatisch-japanischen Figuren im Film mit Technologie in Verbindung gebracht werden. Dabei handelt es sich zunächst um den Gentechniker Chew, der die Augen der Replikanten herstellt (Abb. 8). Chew spricht zwar kantonesisch, kann aber vor dem Kontext der allgegenwärtigen Japonismen in Blade Runner – ersichtlich vor allem an den überall im Film erscheinenden japanischen Schriftzeichen – als japanisch-asiatisch gelesen werden. Im Gegensatz zu einem klinisch sauberen Arbeitsumfeld, als das man ein Gentechnik-Labor zur Konstruktion künstlicher Sehorgane erwarten würde, zeigt der Film Chews Arbeitsumfeld als vereistes Kühlhaus mit einer Vielzahl von Schläuchen und Gefäßen, die weder steril noch ordentlich scheinen. Vielmehr entsteht der Eindruck eines mythisch-alchimistischen Labors. Analog dazu trägt Chew einen dicken Mantel, der aus Häuten zusammengenäht zu sein scheint. Eine dicke Fellmütze rundet das Bild ab und so wird Chew eher als stereotyper Bewohner nord-asiatischer Gefilde gezeichnet. Die Hoch-Technologie, die er anwendet, wird mit einem nicht-›westlichen‹ und auch nicht-wissenschaftlichen Bereich verknüpft.
Weiterhin ist die Figur mit organisch anmutenden Schläuchen quasi selbst an die Technologie angeschlossen (Abb. 9). Die Schläuche dienen vermutlich der Beheizung von Chews Mantel und dieser ist folglich in der eisig-lebensfeindlichen Umgebung des Labors lebensnotwendig. Chews gesamte Existenz gründet sich infolgedessen auf Technologie und ist von ihr abhängig. Damit wird ein asiatisch-japanisches Mindset definiert, das sich nur in Form von Technologie ausdrückt und dementsprechend jenseits des humanistischen Ideals vom autonomen Subjekt, das Technologie rational benutzen kann, existiert.
Das Befremden, das man Chews eisigem Labor und den an Essstäbchen gehaltenen Augen (Abb. 10) gegenüber empfinden mag, wird unterstützt durch etwas, das man mit Ekel beschreiben kann. Die klar sichtbaren Augen, die Chew geschaffen hat, wirken wie von einer Schlachtbank und möglicherweise liegt hierin eine Anspielung auf Fischaugen als japanische Delikatesse – auch hier ein Hinweis auf die Lesart von Chew als japanisch anmutende Figur. Denn natürlich handelt es sich im Umfeld des Augen-Labors nicht um Essstäbchen, sondern um besondere Instrumente. Doch dass diese eine immense Ähnlichkeit zu dem japanischen Besteck aufweisen, scheint kein Zufall, sondern paradigmatisch zu sein: Zu Anfang des Films führt Deckard einen Voight-Kampff-Test an Rachael durch, die sich dadurch als Replikantin herausstellt. In Deckards Befragung von Rachael ist »the Western perception of Asians as dog eaters […] the marker of the nonhuman«, konstatieren Catherine Fung und Tzarina T. Prater (199). Denn Deckard stelle »boiled dog stuffed with rice« gegenüber von »raw oysters« – das eine sei ›westlich‹ akzeptiert, während das andere ein Tabu darstellt und mit Ekel assoziiert werde. Dadurch, dass Rachael nicht unterscheiden kann, was das Akzeptierte (das ›Westliche‹) ist, wird aufgedeckt, dass sie ein Replikant, bzw. ein nicht-›westliches‹ Wesen ist. Im Zuge des filmischen Narrativs heißt dies, kein Mensch zu sein.
Julia Kristevas Konzept der Abjektion in Bezug auf das Abstoßende und Ekelhafte, ist hilfreich, um dies näher zu verstehen. Das Abjekt ist das, was ausgeschlossen wird, was aber dennoch Teil des Subjekts ist. So braucht der Körper Urin, Erbrechen, Speichel usw. für seine Funktion, doch diese Bestandteile werden aus der alltäglichen Betrachtung ausgeschlossen, obwohl sie Teil des Körpers sind (Kristeva 141). Durch die Abwertung bzw. den Ausschluss des Abjekts konstruiert sich die Identität des Subjekts. Die identitätsstiftenden Merkmale eines menschlichen Subjekts können vielfältig sein, aber sie gründen sich nicht auf das Ekelhafte. Sich in diesem Zusammenhang auf kulturelle Konstrukte beziehend, schreibt Kristeva:
The abject confronts us […] with those fragile states where man strays on the territories of animal. Thus, by way of abjection, primitive societies have marked out a precise area of their culture in order to remove it from the threatening world of animals or animalism, which were imagined as representatives of sex and murder. (12 f.)
Die »world of animals or animalism« wird als Abjekt von der bestehenden Kultur abgegrenzt, die sich in Bezug darauf konstituiert, ohne sich jedoch frei davon machen zu können, weil das Abjekt Teil der Identitätskonstruktion bleibt. Im Fall von Blade Runner ist das Abjekt das mythisch-dargestellte Kühllabor von Chew mit seinen ›unzivilisiert‹ und prämodern wirkenden Apparaturen. Das ›westliche‹ Bewusstsein konstruiert sich in der Ablehnung dessen als überlegen.
Zusammenfassend wird durch die Figur Chew ›asiatische‹ Technologie mit etwas Prämodernem, ›unwissenschaftlichen‹ in Verbindung gebracht. Dabei fungiert die Figur mit ihrem Umfeld als Abjekt, dem gegenüber sich die ›westliche‹ Kultur als überlegen konstruiert.
Ähnliches lässt sich an der zweiten asiatischen Figur, einer Frau mit leichtem japanischen Akzent im Englischen, die aus einem Fischstand heraus für Deckard eine Schuppe analysiert, von der er glaubt, sie stamme von einem Fisch (Abb. 2), aufzeigen. Selbst wenn es sich hierbei um einen Markt für genetische Replica von Tieren handelt, zeigt der Film dennoch kein ›wissenschaftliches‹ Umfeld, sondern der Stand der Frau, versehen mit einem großen Fisch als Schild, befindet sich auf einer Art orientalistischer Marktstraße: Ein Mann mit einem Raubvogel auf der Schulter läuft vorbei und im Hintergrund ist ein Strauß zu erkennen (Abb. 11). Auch hier wird also die Technologie der japanischen Frau in den Bereich des Exotischen und der Prämoderne verlegt. Gleichzeitig mutet es klischeehaft an, dass Deckard für die Untersuchung einer vermeintlichen Fischschuppe einen japanischen Fischstand aufsucht. Die japanische Küche ist für ihren Reichtum an Fisch und Meeresfrüchten bekannt. Dass dies kulturell eine große Rolle spielt zeigt zum Beispiel, dass die Gottheit Ebisu – einer der sieben Glücksgötter – mit dem Bild des Wals assoziiert wird. Ebisu gilt als Gottheit, die für die Ernährung aus dem Meer sorgt (Scheid). So kann die Darstellung des Fischstandes in Blade Runner kann als Anspielung auf die an Meeresfrüchten reiche japanische Küche und implizit als Abwertung derselben verstanden werden.
Als Schlüsselstelle in diesem Kontext erscheint die Szene, in der Protagonist Deckard bei einem japanischen Streetfood-Stand Nudeln bestellt (Abb. 1). Harrison Fords Charakter verständigt sich mit händischen Gesten, die der Japanisch sprechende Mann hinter der Theke mehrfach missversteht, sodass Deckard seine Bestellung in Englisch mehrfach wiederholt (00:08:24–00:09:36). Nakamura glaubt in der Konversation eine Bestätigung dafür zu erkennen, wie sehr das Japanische, als alltägliche Universalsprache, die Welt von Blade Runner durchzogen habe: »Though Deckard refuses to answer in Japanese, he does understand it, and can argue with the food server on basis of this shared knowledge, signifying the degree to which »Japan« has instantiated within itself cyberpunk‘s envisioning of a future Los Angeles« (63).
Woran Nakamura erkennen will, dass Deckard Japanisch versteht, wird in der Szene nicht ersichtlich. Weder Deckard noch der Kellner scheinen, die Sprache des jeweils anderen verstehen zu können. Das von Nakamura beschriebene Streiten gleicht so einem doch etwas hilflosen Versuch, sich zu verständigen. Deckard wirkt dementsprechend genervt und zeigt die Nummer mit den Händen. Es scheint, dass er davon ausgeht, dass der japanische Kellner ihn nicht versteht. Wo Nakamura in dieser Sequenz eine Bestätigung für die Integration des ›Japanischen‹ in die alltägliche Realität findet, legt eine genaue Betrachtung eine Distanz des US-Amerikaners Deckard zu dem japanischen Kellner und dessen Sprache nahe. Interessant wird es, als Gaff (Edward James Olmos) in der Szene erscheint. Dieser ist Polizist und gibt Deckard Anweisungen in »Cityspeak, a language of English, German, Chinese, Frech, Hungarian, and Japanese« (Fung und Prater 204). Auch diesen multi-lingualen und auch als multi-ethnisch gezeichneten Charakter versteht Deckard nicht.8 Als Übersetzer fungiert ebenjener japanische Kellner, mit dem Deckard sich vorher nicht verständigen konnte. Zweierlei ist folglich signifikant an der Szene: erstens Deckards Unfähigkeit, sich jenseits des ›westlich‹-englischen Sprachraums zu verständigen; zweitens die Weigerung des Kellners, mit Deckard Englisch zu sprechen, obwohl der japanische Mann der Sprache offensichtlich mächtig ist. Insofern weigert sich einerseits der archetypisch weiße US-Amerikaner, über seinen Horizont zu blicken. Vielleicht ist er dazu nicht fähig. Er scheint es auch nicht nötig zu haben, da andere für ihn ›übersetzen‹. Andererseits beharrt der japanische Mann auf seiner sprachlichen Identität, die er Deckard nicht unterordnet. Dass der Kellner jedoch in der Lage scheint, das multilinguale Cityspeak zu verstehen, verortet ihn aus einem Deckard’schen Blickwinkel in demselben fremden und damit orientalistischen Bereich. In diesem Kontext ist weiterhin die Vermischung verschiedener asiatischer kultureller Räume zu einem asiatisch-orientalischen Bild im Film zu betonen. Deckards Kellner spricht Japanisch, Chew spricht Kantonesisch, die ›Fisch-Expertin‹ wird nur als asiatisch gezeigt, während ihr Umfeld an einen stereotypen Markt im Nahen Osten erinnert. So wird alles Nicht-›Westliche‹ als homogenes Fremdes dargestellt.
Des Weiteren findet ein wirklicher Dialog zwischen den drei Personen, Deckard, dem japanischen Kellner und Gaff, niemals statt. Alle Konversationen sind gezeichnet von (scheiternden) Übersetzungsversuchen und der Weigerung etwas zu Verstehen bzw. tatsächlichem Nicht-Verstehen. Zusammenfassend zeichnet die Szene folglich feste Fronten zwischen dem weißen ›Westen‹ und dem orientalisch dargestellten Asien.
Allerdings weist der Film auch auf das ambivalente Verhältnis zwischen dem ›Japanisch-Asiatischen‹ und dem ›Westen‹ hin – so wie es auch für Gibsons Neuromancer festgestellt werden konnte. Eindeutig gibt es in Neuromancer stereotype techno-orientalistische Bilder. Paulk warnt jedoch, dass man Gibsons Werk nicht bloß durch die Linse des sozio-politischen Klimas der 1980er-Jahre betrachten dürfe, weil dies zu einer »tunnel vision« führe und andere Eindrücke verhindere (484). Dasselbe gilt auch für Blade Runner, sodass es einer weiteren Betrachtung bedarf. Die anfangs angeführte Werbung, die eine Geisha zeigt, macht dies deutlich. Zwar wird in diesem Videoclip eindeutig mit dem ›westlichen‹ Klischee von der Geisha als exotisch-verführerischer Frau mit einer Nähe zur Prostitution gespielt. Doch bei der Tablette, die die in der Werbung dargestellte Frau lasziv in den Mund nimmt, handelt es sich um Verdauungsmedizin. Wo man vielleicht ein Bonbon oder andere Süßigkeit erwarten würde, deren Geschmack bildlich durch eine sexualisierte Darstellung unterstützt wird – gerade weil die gigantische Werbetafel an anderer Stelle des Films Coca Cola proklamiert (Abb. 5) –, zeigt Blade Runner eine (fiktive) Werbung für Strong Wakamoto (強力わかもと – kyouyoku wakamoto), ein Magen-Darm-Mittel für die regelmäßige Einnahme zur Unterstützung der Verdauung (Abb. 12). Genuss-Konsum und Medikamente, um diesen Konsum zu verdauen zu können? Das Magen-Darm-Mittel unterwandert auf subtile Art und Weise das sexualisierte Stereotyp der Geisha als unterwürfig-laszive Dienstleisterin. Es ist eine Strategie von Werbung, auch Dinge, die wie Verdauung(sprobleme) abseits einer als angenehm empfundenen Sichtbarkeit stehen (das Abjekt), durch attraktive Models aufzuwerten: Selbst eine schöne Frau hat Verdauungsprobleme und ist dennoch anziehend – mit diesem Medikament. Abgesehen davon, dass damit eine gewisse auch geschlechterstereotype Normvorstellung transportiert wird, kann diese spezielle Werbung hier auch anders gelesen werden: In dem im Film gegebenen orientalistischen Kontext erhält diese Werbung nämlich einen Subtext, da es dem ›westlichen‹ Publikum höchstwahrscheinlich unbekannt sein dürfte, wofür durch die Geisha geworben wird. Die spätere Coca-Cola-Werbung legt eher ein japanisches Äquivalent zum US-amerikanischen Genussmittel nahe. Somit avanciert auch die Geisha zum ›Genussmittel‹ und Gegenstand von exotischem Fetischismus. Eigentlich ist sie jedoch eine Frau mit dem zutiefst menschlichen Bedürfnis einer normalen Verdauung. Einerseits affirmiert die Werbung für ein Medikament, dass dem Bereich des Abjekts zugeordnet werden kann, durch die sexualisierte Geisha das ›westliche‹ Klischee derselben. Andererseits unterwandert ebendiese Kontextualisierung mit dem Bereich des Abjekts das ›westliche‹ Stereotyp.
Zeigt also das Gespräch zwischen Deckard, Gaff und dem japanischen Kellner zusammenfassend verhärtete Fronten zwischen den Kulturkreisen, die im sozio-politischen Klima der 1980er-Jahre in der gezeigten Weise essentialisiert wurden, legt die Strong-Wakamoto-Werbung offen, wie ein ›westlicher Blick‹ das Stereotyp der Geisha einerseits reproduziert. Das laszive Element der Werbung scheint Teil einer Erotisierung und Fetishisierung des fremden japanischen Kontexts aus Sicht des ›Westens‹ zu sein. Andererseits wird das Bild der Geisha durch die für ein ›westliches‹ Publikum nicht offensichtliche Anspielung auf das Abjekt dekonstruiert. Die Verbindung der vermeintlich erotischen Geste mit einem Akt der Krankheit, die zudem die Verdauung betrifft, legt offen, wie eine zuteifst menschliche Tätigkeit durch eine fetischisierende Betrachtung verklärt wird. Aus der japanischen Perspektive wird die Werbung eine andere Wirkung haben. Ist das Asiatisch-Japanische bei Chew noch das Abjekt des ›westlichen‹ Blicks, ist das Abjekt der Geisha für die ›westliche‹ Betrachtung aufgrund der Stereotypisierung nicht zu erkennen. Erst im zweiten Blick offenbart sich, dass die oberflächliche Betrachtung des ›Fremden‹ diesem nicht gerecht wird. Blade Runner unterläuft auf diese Weise eindeutige orientalistische Zuschreibungen.
4.2. Techno-Orientalismus in Cyberpunk 2077
Es ist gerade diese Ambivalenz, die sich in Hinblick auf Blade Runner nachweisen ließ, die dem 2020 erschienenen Spiel Cyberpunk 2077 zu fehlen scheint. Bilder spielen in Computerspielen eine herausragende Rolle, denn sie liefern den Kontext für die Handlung des*der Spielenden. Während Bilder häufig als Szenerien oder Räume verstanden werden, in denen sich die zu spielende Figur bewegt, können Bilder in Spielen auch den »Vollzug« der Handlung und die »situativen Umstände« ausdrücken sowie die Figur als »Handlungsträger« und auch »Handlungsmittel« sichtbar machen (Hensel 54). So stellen sich die Bilder nicht bloß als ›Umwelt‹ dar, sondern sind Teil der spielerischen Handlung und wirken auf den*die Spielende*n zurück (Hensel 52). Thomas Hensel hebt hervor, dass das Bild das Spielgeschehen nicht bloß rahme und eine Funktion der Narration sei, sondern dass die Narrative und das Spielerische auch als Funktion des Bildes und seiner Ikonizität betrachtet werden kann (58). Die Ästhetik spielt also eine herausragende Rolle und es ließe sich argumentieren, dass das Genre Cyberpunk vor allem eine ästhetische Setzung ist. Doch indem Bilder reziprok mit den Spielenden interagieren, sind sie nicht bloß Form, sondern auch Inhalt. Deshalb soll hier im Vordergrund stehen, welche Bilder das Spiel Cyberpunk 2077 vor dem Hintergrund des Techno-Orientalismus anbietet und wie sich diese bewerten lassen.
Das Setting des Spiels ist in Night City, Kalifornien, verortet, was eine offensichtliche Anspielung auf den anfänglichen Handlungsort Ninsei in Gibsons Neuromancer darstellt, da dieser ebenfalls als »Night City« (Gibson 11) beschrieben wird. Der maßgebliche Antagonist im Spiel ist die Arasaka-zaibatsu, ein familiengeführter Konzern. Diese wird patriarchal von Saburo Arasaka geführt, der im Laufe des Spiels eine wichtige Rolle einnimmt, und auch dessen Kinder Yorinobu und Hanako, fest eingewoben in die Familienstruktur des Unternehmens, kreuzen den Weg der*die Spieler*in. Als Protagonist V läuft man durch die zukünftige Metropole Night City, die visuell an das Los Angeles von Blade Runner erinnert, und kämpft dagegen an, dass der eigene Geist von einem implantierten Konstrukt übernommen wird. Dieses Konstrukt enthält die von Keanu Reeves verkörperte Persönlichkeit von Johnny Silverhand, einem Anarchisten, der zu Lebzeiten gegen Arasaka bis hin zur Nutzung von nuklearen Waffen gekämpft hatte. Auf der Suche nach einer Möglichkeit, der scheinbar unvermeidlichen Verschmelzung der zwei Identitäten zu entkommen, läuft man an unzähligen in Hiragana und Katakana, den japanischen Silbenalphabeten, verfassten Neon-Reklamen vorbei. Die freibewegliche Kamera der First-Person-Perspektive erlaubt es, sich in der detaillierten Welt umzusehen und den Blick dabei schweifen zu lassen. Immer wieder sieht man das Logo »Hoテル« (Hoteru) in der Szenerie aufblitzen – eine Mischung aus Romanji-Schrift und Hiragana. Anderenorts scheinen Neon-Reklamen für Ramen-Nudeln oder des Produzenten für künstliche Augen, Kiroshi アイ インプラント – Kiroshi ai inpuranto (Abb. 13). Dies gilt besonders, wenn man sich in ›Japan Town‹ in Night City bewegt, aber auch andernorts stößt man auf japanische Schrift.
Neben dem Sich-Umschauen stößt V auch auf Produkte, die sie erwerben kann. Dabei kann es sich von Waffen handeln. Häufig sind es japanische Messer wie das Kanto oder Schwerter wie das Katana, die unter den Klingenwaffen besonders wirkmächtig sind. Auch Implantate, die sich V als Cyborg installieren lassen kann, haben teilweise Hersteller mit japanischem Namen wie natürlich Arasaka, Kiroshi oder Fuyutsui. Die Entscheidung kann natürlich auch auf nicht-japanisch anmutende Waffen, Implantate oder Kleidung fallen. Die Konfrontation zwischen Arasaka (Japan) und dem Konzern Militech (USA) in der Narrative des Spiels legt jedoch nahe, dass es sich um eine Konkurrenz handelt, die vor dem Hintergrund verschiedener Nationen ausgetragen wird. So gibt es neben US-amerikanischen Fahrzeugen wie der Marke Thornton auch eine Fülle an japanischen Fahrzeugen im Spiel wie unter anderem das »Mizutani Shion MZ1« oder das knallrote Motorrad »Kusanagi« (Abb. 14), das mit seinem Namen auf das Fahrzeug von Motoko Kusanagi in Ghost in the Shell: Arise (JP 2013–2015, Regie: Kazuchika Kise, Masahiko Murata, Atsushi Takeuchi, Susumu Kudou) verweist, wobei es vor allem an das berühmte rote Motorrad aus Katsuhiro Otomos Cyberpunk-Klassiker Akira (JP 1988) erinnert. So weisen sowohl die Bilder der Szenerie als auch die der Handlungsmittel eine Fülle an Japanoismen auf. So bedient das Spiel die Genre-typische Ästhetik, die sich schon in Gibsons Roman und in Blade Runner finden lassen.
Bilder sind jedoch nie unabhängig von ihren Kontexten. Die japanoiden Darstellungen in der Spielwelt von Cyberpunk 2077 machen zwar deutlich, dass das ›Japanische‹ in der Spielwelt angekommen ist, wie es Nakamura für Blade Runner behauptet. Gleichzeitig wird jedoch eine Distanz zu diesem aufgebaut. Denn die Spielfigur V ist nicht darin beheimatet. Ihre Bekanntschaften schließt sie vornehmlich aus dem Feld des Night-City-Untergrunds. Zu nennen sind etwa der Kindheitsfreund Jackie, der einen lateinamerikanischen Hintergrund zu haben scheint, die esoterisch angehauchte Misty, die wie das klischeehaft weiße ›Astrology Girl‹ anmutet, Figuren, die aus dem Umfeld von Johhny Silverhand stammen wie die Besitzerin des Afterlife Rogue oder die Vodoo Boys, bei denen es sich um ausschließlich schwarze Figuren handelt. Bei allen handelt es sich dezidiert um nicht-asiatische Figuren. Japanische Charaktere, mit denen V in engeren Kontakt kommt, treten nur mit Goro Takemura, dem Leibwöchter von Sabruo Arasaka, Wakado Okada, einer Fixerin in Japan Town, und Mitgliedern des Arasaka-Clans, die V an sich feindlich gegenüberstehen, in Erscheinung. Ihre entweder traditionell japanische oder förmliche Kleidung und ihr ebenso förmliches Verhalten legen den Unterschied zu V offen, die von der Straße kommt. Mit keinem bis auf Takemura geht man eine explizite Beziehung ein. NPCs, d. h. computergesteuerte Figuren in Spielen geben normalerweise die Möglichkeit für Spielende, mit diesen zu sympatisieren (Neitzel 228 f.). Indem ein solcher Sympathieträger im Setting fehlt – auf den Fall von Takemura wird an späterer Stelle eingegangen –, wird das Japanische in den emotional nicht erreichbaren (Okada) oder sogar antagonistischen Bereich (Arasaka) gerückt.
Auf der narrativen Ebene lässt sich ebenfalls argumenteiern, dass das Spiel techno-orientalistische Elemente aufweist. In seinem Artikel »Orientalism, Cyberpunk 2077, and Yellow Peril in Science Fiction« zählt Georg Yang so in einem Gespräch mit Takeo Rivera, der techno-orientalistische Aspekte in Bezug auf die Detroiter Autoindustrie der 1980er-Jahre untersucht hat, vier Aspekte auf, die in dem Spiel techno-orientalistisch gelesen werden können: Erstens könne die asiatisch anmutende Neon-Werbung als Zeichen einer Angst vor einer globalisierten Zukunft gelesen werden und dementsprechend seien asiatische Communities als fremd in dem Spiel gezeichnet. Zweitens würden kriminelle Gruppierungen wie die Gang ›Tigerclaws‹ in der Welt des Spiels nahezu klischeehaft mit Katanas und stets mit japanischem Akzenten im englischen Original des Spiels oder auch untereinander Japanisch sprechend gezeigt, was auf eine These von einer Unterwanderung des weißen Amerikas durch asiatische (kriminelle) Menschen hindeuten könnte. Drittens referiere der Antagonist, die zaibatsu Arasaka, namentlich auf eine Firma, die das imperiale Japan während des Zweiten Weltkrieges mit Waffen belieferte. Die Verbindung einer traditionalistischen japanischen Kultur und wirtschaftlicher Ruchlosigkeit betone rassistische Vorurteile. Schließlich würde das Spiel aus der Perspektive einer weißen Person gespielt, selbst wenn sich das Aussehen der Spielfigur auch hin zu schwarz oder asiatisch, also nicht-weiß, verändern lasse. Das Setting des Spiels würde die Figur vom Aussehen unabhängig immer als weiß beschreiben, da das Gestalten der eigenen Figur keine Auswirkung auf die Spielhandlung habe. Der*die Protagonist*in V sei narrativ als weiße Person konzipiert und werde im Spiel durchweg als solche behandelt.
Ich kann Yang in keinem Punkt widersprechen. Zwar merkt er mit Rivera an, dass Werke auch Aspekte von Techno-Orientalismus enthalten können, diese aber auch innerhalb ihrer selbst verhandeln können. Ein solches Moment stellt wie gezeigt die Geisha-Werbung in Blade Runner, aber auch das aristokratische Feindbild des Tessier-Ashpool-Clans in Neuromancer dar. Die subversiven Elemente sucht man in Cyberpunk 2077 jedoch vergeblich. Gerade auch Yangs Einwurf, dass Militech, ein US-amerikanischer Konzern, der im Spiel der ebenso ruchlose Gegenspieler von Arasaka ist, möglicherweise die Abgründigkeit des japanischen Konzerns relativiere, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Arasaka im Narrativ des Spiels eine übergeordnete, antagonistische Verkörperung von technologisierter ›Corporate Greed‹ darstellt, die an das Bild eines japanischen Familienkonzerns gebunden ist.
Die Figur Goro Takemura bietet den einzigen Ansatzpunkt, der eine Brücke zwischen der Welt von V und damit derjenigen der spielenden Person zur der ›japanischen‹ Welt bietet. Der Avatar eines*r Spielers*in ist zunächst das Werkzeug, um mit der Spielwelt zu interagieren (Neitzel 229), während NPCs die Handlungen des*der Spielenden mit Bedeutung aufladen (Neitzel 228). Die Figur Takemura bietet Kontakt zu der Innenwelt von Arasaka. Takamura ist stets in einen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd gekleidet. Seine Implantate sind an seinem Hals eindeutig zu sehen und weisen ihn als Cyborg aus. Nachdem Suburo Arasaka durch seinen Sohn ermordet wird, geht Takemura als Nebenfigur in den Untergrund und arbeitet mit V zusammen, um den Mord aufzudecken. Takemura fühlt sich der Familie verpflichtet und will Hanako Arasaka einweihen, da er sich als Gefolgsmann der Arasaka-Familie ansieht. Damit wird auf das Bild vom treuen Samurai, der seinem Herrn über das eigene Leben hinaus verpflichtet ist, einerseits und auf den sogenannten salary man, den typischen japanischen Angestellten in einem (Groß-)Konzern, andererseits verwiesen. Michael Wert zeigt auf, dass sich das Bild von Samurai in der Geschichte des japanischen Kulturraums gewandelt hat. Vor allem in der japanischen Propaganda während des Zweiten Weltkrieges sei das Bild vom pflichtbewussten, aufopferungsvollen und kaisertreuen Samurai propagiert worden, was dazu geführt habe, dass die US-amerikanische Besatzung diese Stilisierung nach der 1945 erlittenen Niederlage auch in Filmen verboten habe (Wert 108 f.). Doch mittlerweile ist dieses Bild in US-amerikanischen Produktionen wie The Last Samurai (Last Samurai, US 2003, Regie: Edward Zwick) fest verankert und auch im japanischen Kulturraum weit verbreitet (Wert 4). Dass damit auf ein Bild der japanischen Kriegspropaganda und nicht notwendigerweise auf ein historisches Bild von Samurai, deren Definition sich im Laufe der Geschichte deutlich gewandelt hat, verwiesen wird, ist ein orientalistischer Mechanismus, wodurch der Samurai exotisiert und romantisiert wird. Wert zufolge ist der salary man im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs Japans in den 1960er-Jahren zum neuen Samurai geworden: »Called the ›corporate warrior,‹ such businessman remained loyal to his company and would never abandon it for a better deal elsewhere—unlike a medieval warrior who readily switched sides or betrayed his lord« (109). Mit der Figur Takemuras werden in Cyberpunk 2077 beide Klischees bedient, da dieser Anzug tragend in seiner Leibwächterfunktion sowohl die buchstäbliche kriegerische Funktion des pflichtbewussten Samurai als auch die des treuen Konzernmitarbeiters der Arasaka-zaibatsu einnimmt. In The Last Samurai spielt zudem Hiroyuki Sanada einen traditionellen und kriegserprobten Samurai. Die Figur Takemura ähnelt dem japanischen Schauspieler, der für seine Rollen in Actionfilmen bekannt ist. Dass sowohl das Bild des pflichtbewussten Samurai und als auch das des salary man in der japanischen Gegenwart ebenso vorhanden ist (Wert 109), ist jedoch kein Argument gegen den techno-orientalistischen Mechanismus, der in Cyberpunk 2077 zum Tragen kommt. Denn die von Yang vorgebrachten Argumente liefern einen Kontext, in den sich der technologisch augmentierte salary man/Samurai Takemura einbetten lässt. Dieser Kontext ordnet die Wahrnehmung des salary man im japanischen Kulturkreis auch in Hinblick auf die ahistorische Figur des pflichtbewussten Samurai in einen Bereich, der das Japanisch-Asiatische im Spiel als antagonistisch und fremd gegenüber der Spielfigur V beschreibt.
Nun ist auch die Figur V von Implantaten durchzogen. De Facto ist es ein Neurochip, den die Figur sich zwar notgedrungen einsetzt, der aber nichtsdestotrotz zu der technologisch bedingten Misere des Spiels führt. Die Kontextualsierung ist jedoch eine andere: Während V als unabhängige Entität agiert – die Figur kann mit oder gegen Arasaka handeln und verfolgt primär ihr Überleben –, ist Takemura selbst nach seinem Ausscheiden aus dem Firmennetzwerk an dieses gebunden. In einem Dialog mit V legt er offen, dass er Kind von Arasaka auf der Straße aufgelesen und zum Soldaten ausgebildet wurde. Wohingegen V ihre Implantate kauft und weniger legal selbst beschafft, verdankt Takemura seine ›Ausstattung‹ der zaibatsu. Indem die Entscheidung, sich selbst zu technologisieren im Falle von V als individueller Willen dargestellt und die Cyberisierung Takemuras in das Geflecht von Pflicht und Kollektivismus der zaibatsu eingebettet wird, tritt der Unterschied zwischen dem ›westlich‹ freien Subjekt und dem nicht-autonomen ›asiatischen‹ deutlich hervor. Letztlich agiert zwar auch Takemura gegen Yorinobu Arasaka, doch auch dies hat zum Zweck, die zaibatsu zu schützen. So fungiert auch diese Figur als techno-orientalistisches Bild, das den Komplex um den japanisch anmutenden Großkonzern gegenüber der ›westlichen‹ Spielfigur V als fremd beschreibt und implizit abwertet. Dabei sind für die Spielenden sind weniger die Handlungen, die sie im Spiel ausführen können, entscheidend, sondern vielmehr, in welche Kontexte die Figuren von Beginn an eingebunden sind. Das Geflecht um Arasaka avanciert dabei zu etwas, das überwunden werden muss. Eine schier unüberbrückbare Trennung zum orientalisierten japanischen Kulturraum ist für die Spielenden allgegenwärtig.
Damit steht Cyberpunk 2077 durchaus in der Tradition des Cyberpunk-Genres im Allgemeinen und auch im Hinblick auf das ältere Spiel Deus Ex (2000), das gemeinhin als erstes Cyberpunk-Spiel gilt, im Besonderen. Auch darin erfahren die Spielenden eine orientalisierte Welt aus der Perspektive einer ›weißen‹ Spielfigur. Takeo Rivera, der sich selbst als asiatisch gelesen beschreibt, merkt diesbezüglich an: »the game silently necessitates an asymmetric identification with not only Jensen [dem Protagonisten] or even the white male gaze, but the imperial white male sense of engaging with the world in a process of perpetual othering and mastery. It is the fantasy of conquering a reachable techno-Orient, a sensory space where bodies are not unlike that of the player hirself [sic]« (76). Cyberpunk 2077 führt dieses Moment auch zwanzig Jahre nach Deus Ex fort.
Die auf dem Spiel basierende Anime-Adaption Cyberpunk: Edgerunners, die 2022 auf Netflix erschien ist, geht jedoch in eine andere Richtung. Hier liegt der narrative Fokus auf dem Konzern Militech und dessen Technologie. Die japanoiden Bilder, die ansonsten so typisch sind für das Genre des Cyberpunk, lassen sich in der Serie kaum ausmachen. Dies scheint interessant, da es sich bei der Serie explizit um eine Anime-Produktion durch das Produktionsstudio Trigger handelt, das zum Beispiel den Anime Kill la Kill (JP 2013, Regie: Hiroyuki Imaishi) und die Postcyberpunk-Anime-Serie Darling in the Franxx (JP 2018, Regie: Atsushi Nishigori) produzierte. Das visuelle Setting von Cyberpunk: Edgerunners ist zweifelsohne an die Spielwelt von Cyberpunk 2077 angelehnt. Man gewinnt dabei oft den Eindruck, dass die Blaupausen des Spiels in Hinblick auf die Stadt eins zu eins übernommen worden sind. Die in der spielerischen Atmosphäre aber so augenscheinlichen japanischen Neonreklamen sind in der Serie kaum vorhanden. Cyberpunk: Edgerunners rückt sich damit selbst, obwohl es als Anime vermarktet wird und eine japanische Produktion ist, explizit in eine ›westliche‹ Perspektive, da auch keine japanisch-asiatisch gezeichneten Figuren narrativ vorkommen. Dahingegen evoziert das Spiel Cyberpunk 2077 implizit eine ›westliche‹ Sichtweise mit Mechanismen des Techno-Orientalismus, ohne diese jedoch zu thematisieren. Das ›Westliche‹ im japanischen Anime Cyberpunk: Edgerunners lässt sich als konsequente Weiterentwicklung techno-orientalistischer Ansätze verstehen, die die implizite Abwertung des Japanischen perfektionieren, indem das Japanische in der Fiktion gar keinen Raum mehr einnimmt– selbst im Anime.
5. Fazit
Cyberpunk-Fiktionen sind reich an Japonismen wie am Beispiel von Ridley Scotts Blade Runner und William Gibsons Neuromancer gezeigt werden konnte. Auch das aktuelle Narrativ des Spiels Cyberpunk 2077 weist solche Elemente auf. Als Ursache dessen lässt sich erstens die zunehmende Verfügbarkeit von Alltagstechnologie, die in den 1980er-Jahren häufig japanischen Ursprungs war, ausmachen. Deshalb wurde Hightech zunehmend mit Japan assoziiert, was dazu führte, das Japan als ›Ort der Zukunft‹ in den Fiktionen des Cyberpunk imaginiert werden konnte. Rassistische Japan-Feindlichkeit aufgrund einer US-amerikanischen Angst vor dem wirtschaftlichen Aufschwung Japans findet im Cyberpunk in Form des Techno-Orientalismus einen Ausdruck: Die japanische Technologie wird in den Cyberpunk-Narrativen mit einer Prämoderne und einem feudalen Japan in Verbindung gebracht. Dabei nutzen asiatisch-japanische Figuren Technologie in einem als nicht-wissenschaftlich-rational gezeichneten Kontext und werden gleichzeitig nur als Produzent*innen oder Lieferant*innen von Technologie dargestellt. Die (überlegene) Technologie wird so in den Bereich des Exotischen verschoben, während gleichzeitig das japanische Mindset als abhängig von Technologie und damit als kalt und inhuman gezeichnet wird. Sowohl in Neuromancer als auch Blade Runner lässt sich dies nachweisen. Nichtsdestotrotz zeigen beide Narrative ebenso Ansätze einer subtilen Unterwanderung der techno-orientalistischen Mechanismen, indem sie die Hegemonialansprüche des ›Westens‹ in die Narrative integrieren. Die subversiven Elemente können jedoch den techno-orientalistischen Schwerpunkt nicht maßgeblich schmälern und höchstens als Hinweis auf eine Kritik am ›Japan Bashing‹ verstanden werden, ohne dies explizit zu machen. Dementsprechend ist Techno-Orientalismus im Cyberpunk der 1980er-Jahre sehr wohl anwesend. Das wegweisende SF-Genre zeigt bestenfalls Ansätze, aus diesem Hierarchiegefälle ausbrechen zu wollen. Interessanterweise scheint Techno-Orientalismus kein Konzept der Vergangenheit zu sein. Obwohl japanische Technologie aktuell nicht den marktbeherrschenden Stellenwert einnimmt, wie es noch in de 1980er-Jahren der Fall war, lässt sich auch im Spiel Cyberpunk 2077 eine techno-orientalistische Ästhetik finden, die zudem narrativ eine Herabsetzung japanischer Figuren beinhaltet. Dies mag an der Perspektive des Cyberpunk-Genres liegen, das seine Wurzeln wie gezeigt in den 1980er-Jahren hat, und lässt sich auch für das ältere Spiel Deus Ex feststellen. Die techno-orientalistische Perspektive setzt sich so im Genre Cyberpunk fort. Nun fehlt in Hinblick auf den japanischen Kulturraum aktuell die Angst, die ein solches ›Othering‹ als Zeitgeist begründen könnte. Einerseits scheint die implizite Abwertung des Japanischen im Cyberpunk vielmehr als eine das Genre bestimmende Ästhetik festgeschrieben zu sein. Andererseits wird diese ›westliche‹ Perspektive auf Japan in der Anime-Adaption von Cyberpunk 2077 völlig ausgeblendet, indem japanoide Bilder komplett zu fehlen scheinen.
Angesichts dessen bedarf einer Aktualisierung des Genres in Hinblick auf die globalisierte und post-westlich-hegemonalie Welt, um die nach wie vor bahnbrechende und aktuelle Kritik des Cyberpunk am Verhältnis Mensch-Maschine weiterzuführen. Es scheint, dass sich ein Blick in eben jenen Kulturraum lohnt, der zum Gegenstand der techno-orientalistischen Faszination des Cyberpunk geworden ist: Japan. Nicht nur, doch vor allem in der Form von Anime sind seit den späten 1980ern zahlreiche Werke in der Folge des US-Cyberpunk entstanden, die jedoch ihre eigenen Schwerpunkte und Thematiken setzen und damit nicht Adaptionen ›westlicher‹ Narrative wie Cyberpunk: Edgerunners sind. Narrative wie Neon Genesis Evangelion (JP 1995–1996, Regie: Hideaki Anno), das Ghost in the Shell-Franchise sowie Serien wie Psycho-pass (JP 2012–2013, Regie: Naoyoshi Shiotani, Katsuyuki Motohiro) oder Ergo Proxy (JP 2006, Regie: Shūkō Murase) könnten Aufschluss darüber geben, inwieweit eine techno-orientalistische Haltung empfangen und vielleicht sogar beantwortet wird. An dieser Stelle bedarf es weiterer Forschung, um den ›westlichen‹ Kontext des Cyberpunk zu erweitern. Denn rein ›westlich‹ ist er niemals gewesen.
Notes
- Ölpapierschirme sind Regenschirme, die im gesamten asiatischen Raum verbreitet sind und deren Schirm aus in Öl getränktem Papier besteht. [^]
- Die Schriftzeichen spielen möglicherweise auch auf einen sino-japanischen Kontext an, da sie auch im Chinesischen »Polizei« bedeuten. [^]
- Hierbei handelte es sich ausschließlich um Männer, sodass hier nicht gegendert wurde. [^]
- Es ist durchaus umstritten, ob es empirisch möglich ist, so etwas wie einen Zeitgeist nachzuweisen. Aufgrund der Fülle von Meinungen und Haltungen, die innerhalb selbst einer vergleichsweise homogenen Gruppe zu finden sind, verbleibt eine solche Mentalität immer etwas Vages (s. Flaig). Es ist an dieser Stelle dementsprechend notwendig, auf den vagen und nicht scharf gezeichneten Charakter des benannten Zeitgeistes hinzuweisen. [^]
- Dies gilt auch für andere Cyberpunk-Werke. Japanoide Bilder anderer Autoren sind z. B. ein japanisches Konglomerat in Lewis Shiners Frontera (1984), eine Geisha Bank und ein Kabuki Theater im Weltraum in Bruce Sterlings Schismatrix (1985), ein Hightech-Unternehmen namens Deutsche Nakasone in Michael Swanwicks Vakuum Flowers (1987) (Tatsumi 47). [^]
- Bei diesen ›asiatischen‹ Körpern handelte es sich Huang et al. zufolge vor allem um Arbeiter*innen aus China, die u. a. wegen des Eisenbahnbaus in die USA gereist waren. Da das rassistische Ressentiment vor allem aber darauf abzielt, den Unterschied der weißen US-Amerikaner*innen zu den fremden ›Asiaten‹ deutlich zu machen, kann die Herabsetzung der chinesischen Arbeiter*innen stellvertretend für die Herabsetzung von asiatischen und damit auch japanischen Körpern angesehen werden. [^]
- Ruh referiert des Weiteren, wie der US-amerikanische Cyberpunk mit dem japanischen Cyberpunk in Zusammenhang steht. In dieser Hinsicht scheint weiter die Analyse von Kumiko Sato (2004) und Tatsumi Takayuki (2006) erwähnenswert. Am wohl bisher umfassendsten hat wohl Steven T. Brown mit Tokyo Cyberpunk (2010) japanischen Cyberpunk und dessen Berührungspunkte mit westlichen Narrativen untersucht. [^]
- Die Figur vereint verschiedene stereotype Merkmale unterschiedlicher Ethnien wie nicht-weiße Haut und schmale Augen in sich. [^]
Autor
Malte Frey lebt und arbeitet in Düsseldorf. Seit 2020 arbeitet er an seiner Dissertation an der Kunstakademie Münster zu Subjektvorstellungen, wie sie in den technologisch organisierten Gesellschaften von Postcyberpunk-Animes dargestellt werden. Er studierte an der Kunstakademie Münster, dem Fine Arts College of Shanghai University und der Universität Münster freie Kunst sowie evangelische Religionslehre. Seitdem ist er auch als freier Künstler tätig, fokussiert sich jedoch primär auf seine wissenschaftliche Arbeit. Sein Ansatzpunkt sind die medien-spezifische Analyse von Anime auf der einen Seite und posthumanistische Theoriebildung auf der anderen. Sein besonderes Interesse gilt sowohl der Kultur um Anime und Manga als auch nicht-westlichen Konzepten.
Konkurrierende Interessen
Der Autor hat keine konkurrierenden Interessen zu erklären.
Filmographie
Akira. Regie: Katsuhiro Otomos. JP 1988.
Altered Carbon (Altered Carbon – Das Unsterblichkeitsprogramm). Idee: Laeta Kalogridis. US 2018.
Blade Runner (Der Blade Runner). Regie: Ridley Scott. US 1982 (Final Cut, Warner Home Video Germany 2010).
Cyberpunk: Edgerunners. Regie: Hiroyuki Imaishi. JP/PL 2022.
Darling in the Franxx. Regie: Atsushi Nishigori. JP 2018.
Die Hard (Stirb Langsam). Regie: John McTiernan. US 1988.
Ergo Proxy. Regie: Shūkō Murase. JP 2006.
Ghost in the Shell: Arise. Regie: Kazuchika Kise, Masahiko Murata, Atsushi Takeuchi, Susumu Kudou. JP 2013–2015.
Kill la Kill. Regie: Hiroyuki Imaishi. JP 2013.
The Last Samurai (Last Samurai). Regie: Edward Zwick. US 2003.
The Matrix (Matrix). Regie: Larry Wachowski, Andy Wachowski. US 1999.
Minority Report. Regie: Steven Spielberg. US 2002.
Neon Genesis Evangelion. Regie: Hideaki Anno. JP 1995–1996.
Psycho-Pass. Regie: Naoyoshi Shiotani, Katsuyuki Motohiro. JP 2012–2013.
Ludografie
Cyberpunk 2077, CD Projekt RED, 2020.
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