Wenn Donna Haraway in ihrer 2016 erschienen Studie Staying with the Trouble den Terminus der »String Figure« (9 ff.) für ein virtuoses Verknüpfen und Verweben von auf den ersten Blick getrennt existierender Lebensbereiche zu neuen, unerwarteten Beziehungsformen einführt, muss gleich zu Beginn festgehalten werden, dass Dagmar Fink mit ihrer beeindruckenden Dissertation Cyborg werden geradezu ein Paradebeispiel für diese verbindende SF-Denkfigur gelungen ist. Um keine Verwirrung entstehen zu lassen: SF steht in diesem Falle – ganz im Sinne Haraways – nicht nur für Science Fiction oder Speculative Fiction, sondern eben auch für String Figure.

Doch welche Lebens- bzw. Forschungsbereiche, die auf den ersten Blick getrennt erscheinen mögen, verwebt Dagmar Fink nun in ihrer Studie? Und welche neuen interdisziplinären Perspektiven eröffnet sie damit den Sozial-, Kultur- und Literaturwissenschaften? Wie die Autorin einleitend festhält, widmen sich die vier Hauptkapitel ihrer Arbeit – in dieser Reihenfolge – den Technowissenschaften, und hier vor allem der Kybernetik, den Gendertheorien Donna Haraways, den heteronormativen Grenzen überschreitenden Erzählstrategien der SF und dem soziokulturellen Potenzial des Romans He, She and It (1991) der US-amerikanischen Autorin Marge Piercy. Als Bindeglied und einender roter Faden zwischen diesen Forschungsgebieten, die jedes für sich schon genügend Stoff für eine eigene Dissertation bieten würden, fungiert die »performative Figur« (11) der/des Cyborg1, deren unterschiedliche Definitionen und Funktionsweisen Fink aufzeigt und aus einer gender- und kulturtheoretischen Perspektive heraus reformuliert. In diesem Zusammenhang beeindruckt vor allm. der breite Wissenshorizont, den sich die Autorin auf allen vier genannten Forschungsgebieten erarbeitet hat, und auf dem sie ihre fundierten Analysen aufbaut.

An Cyborgs interessiert Fink primär ein Merkmal, das ihnen Haraway explizit zuspricht: die Fähigkeit, jene Dualismen aufzulösen, die das menschliche Zusammenleben in heteronormative, strikt binär operierende Oppositionen wie männlich/weiblich, selbst/andere, Kultur/Natur, weiß/schwarz etc. unterteilt. D* Cyborg bringt diese das westliche Denken seit der Antike prägenden Dualismen ins Wanken und ermöglicht es damit, »vielfältige, in sich widersprüchliche strategische Identitäten, die Vorstellungen ›natürlicher‹, binärer und heteronormativer Geschlechter, Sexualitäten und Rassifizierungen« (11) zu hinterfragen. In diesem Kontext legt Fink das Augenmerk außerdem auf eine Facette des berühmten Haraway’schen Cyborg-Manifests, die bislang – auch von Literaturwissenschaftler*innen – häufig vernachlässigt wurde: nämlich auf das enorme erzählerische Potenzial des Cyborg-Mythos, das seiner theoretisch-argumentativen Kraft zumindest ebenbürtig gegenübersteht.

Literarische Texte – und vor allem die von weiblichen Autorinnen verfassten SF-Feminismen – gestalten, so die These Haraways und Finks, eigene dystopische oder utopische Gesellschaftsentwürfe, an denen sich deutliche Kritik an patriarchalen, heteronormativen und vor allem dualistischen Systemen ablesen lässt. Dualismen sind somit immer mit Herrschaft verknüpft und durch klare Grenzziehungen markiert, doch diese Grenzen »zwischen Menschen, Tieren und Maschinen« (8) werden laut Haraway immer uneindeutiger. Auf Dauer lassen sie sich nicht mehr aufrechterhalten und »implodieren« (8).

In diesem Zusammenhang entwickelt die Denkfigur d* Cyborg auch auf kulturwissenschaftlicher Ebene deutliche Sprengkraft. Dagmar Fink ist es deshalb ein besonderes Anliegen, nicht nur die Bedeutung »der Technowissenschaften, sondern gerade auch der Schwarzen, Chicana- und postkolonialen Feminismen für das Konzept d* Cyborg herauszustellen« (9). Um jedoch mittels dieser Figur die heteronormativen Dualismen des westlichen Denkens hinterfragen zu können, musste Haraway sie zuallererst aus ihren (technomilitärischen) Entstehungskontexten – der Raumfahrt, der Kybernetik, der Popkultur und Literatur rund um SF und Cyberpunk – herauslösen und sie für ein sozialistisch-feministisches Konzept fruchtbar machen.

Doch gehen wir der Reihenfolge nach: Erstmals verwendet wurde das Akronym ›Cyborg‹2 1960 in einem Vortrag des Raumfahrtingenieurs und Musikwissenschaftlers Manfred E. Clyne und des Psychiaters Nathan Kline, die damit ihre Zukunftsvision von einem an die lebensbedrohliche Atmosphäre des Weltraums angepassten Raumfahrers benannten. Um das Weltall zu erobern, könne der Mensch – so Clyne und Kline – nicht ständig die irdischen Lebensbedingungen wie ein Goldfischglas mit sich herumtragen, vielmehr müsse sein Organismus so weit verändert werden, dass er in außerirdischen Umgebungen überleben kann. (25 f.) Wie Fink einleuchtend belegt, lag dieser Vision eine Vorstellung vom künftigen Raumfahrer als unauflösbares »Mensch-Maschine-System« zugrunde, was wiederum eine Einbettung der Cyborg-Figur in die Kybernetik eines Gregory Beatsons oder Norbert Wieners unerlässlich macht. Darauf aufbauend rekonstruiert Fink mit beeindruckender Genauigkeit den Werdegang und die stetigen Bedeutungserweiterungen, die der Begriff ›Cyborg‹ im kybernetischen Kontext erfuhr. Während Wiener z. B. Analogien zwischen Mensch und Maschine herstellt, indem er das menschliche Nervensystem und Maschinen als »kommunizierende Organismen« (34) und damit als Informationsträger und -vermittler definiert, lehnen Humberto Maturana und Francisco Varela ein derart mechanistisches Ursache-Wirkung-Prinzip ab und stellen vor allem »autopoietische Systeme« (40) – und damit sich selbst reproduzierende und erhaltende Systeme – den Maschinen gegenüber.

Haraway kritisiert nun beide kybernetischen Ansätze, da diese sowohl den männlich dominierten Technowissenschaften als auch dem Prinzip des Menschen als Krone der Schöpfung verhaftet bleiben. Sie geht einen anderen Weg, befreit zu Beginn der 1980er-Jahre die Cyborg-Figur aus den Fängen der militärisch-technischen Denkmuster und setzt sie in ihrem berühmten Manifest für feministische Zwecke ein (43). D* Cyborgs stellen in Haraways Konzept gleich auf mehreren Ebenen eine Provokation patriarchaler, heteronormativer Denkstrukturen dar. Denn sie sollen nicht nur zur Überwindung der bereits erwähnten Dualismen beitragen, sondern mittels ihrer erzählerischen Kraft auch ein fantasievolles Erkennen der Welt abseits theoretisch-rationaler Pfade ermöglichen. Fink unterstreicht aber auch, dass sich Haraways Dualismus-Kritik in eine lange feministische Tradition einreiht und etwa bereits in den Texten der écriture féminine von Hélène Cixous, Luce Irigaray und Monique Wittig ausgearbeitet wurde. Bereits sie erkennen den hierarchischen Charakter des dualistischen Denkens, welches das Selbst stets vom Anderen abgrenzt und die Subjektwerdung des Letzteren durch permanente Objektivierung verhindert (54 ff.).

Um diese Muster sichtbar und hinterfragbar zu machen, bietet die Figur d* Cyborg, wie sie in feministisch-utopischer Literatur auftritt, eine nützliche Projektionsfläche, und Haraway stellt sich – wie Fink verdeutlicht – auch ganz bewusst in die Tradition dieser SF-Gattungen. Denn in der zeitgenössischen Science Fiction wimmelt es nicht nur von vieldeutigen Hybridwesen, die zwischen Mensch, Tier, Pflanze, Maschine und Alien changieren, sie teilt sich mit Haraways Manifest auch die zentrale Frage nach dem »Was wäre wenn?«, welche kreative Entwürfe alternativer Geschlechter-, Lebens- und Beziehungsformen überhaupt erst ermöglicht (133 f.). Somit besitzt SF auch das Potenzial, gängige Vorstellungen von Geschlecht, Sexualität und Rassifizierung infrage zu stellen und diese – auch im Rahmen einer queer-feministischen Tradition – völlig neu zu denken. In diesem Sinne spannt Fink einen breitangelegten und beeindruckend detailreichen chronologischen Bogen, der sie von den ersten Definitionen von SF über deren wortwörtlich gemeinten Schreibweisen und deren Gesellschaftskritik hin zu queer-feministischen und/oder postkolonialen SF-Autor*innen wie Joanna Russ, Samuel R. Delany, Octavia Butler, Monique Wittig und Vonda McIntyre führt.

Schließlich gipfelt Finks Studie in den erhellenden, literaturwissenschaftlichen Analysen von Melissa Scotts Roman Shadow Man (1996), Octavia Butlers Erzählung »Bloodchild« (1984) und Marge Piercys bereits erwähntem Roman He, She and It, dem im vierten Kapitel am meisten Raum geschenkt wird. Doch gerade diese Schwerpunktsetzung verwundert im Nachhinein ein wenig. Denn während Scotts Roman eine SF-Welt entwirft, in der gleich fünf verschiedene Geschlechter3 und eine Vielzahl unterschiedlicher Beziehungsformen existieren (167 ff.) und in Butlers Erzählung der Nachwuchs einer außerirdischen Spezies, die an ein Hybrid zwischen riesigen Insekten und Menschen erinnert, von männlichen Menschen ausgetragen wird (244 ff.), bleibt Piercys Roman im Grunde einem zweigeschlechtlichen, von heterosexueller Paarbildung dominiertem Gesellschaftsentwurf treu. Zwar lassen sich gleich vier Romanfiguren – wie Fink auch überzeugend darlegt – als Cyborgs im Sinne Haraways untersuchen, doch dass es Piercy gelingt, mittels dieser Figuren auch heteronormative Dualismen zu torpedieren, kann meines Erachtens nicht einwandfrei belegt werden.

Doch dieser Kritikpunkt soll die beindruckende wissenschaftliche Leistung Finks nicht schmälern. Denn, dass es der Autorin in ihrer Dissertation gelungen ist, tiefschürfende Einblicke in die kybernetischen Technowissenschaften mit Haraways Gendertheorien und deren Denkfigur d* Cyborg mit überzeugenden literaturwissenschaftlichen Analysen zu verknüpfen, bleibt unbestritten ein beachtenswerter interdisziplinärer Kraftakt. Vielmehr ist mir daran gelegen, die Autorin zu weiteren interessanten SF-Analysen anzuspornen, sodass die von ihr selbst aufgeworfene Frage »Wie kann Technologie ›uns‹ dabei unterstützen, tatsächlich inklusive Gemeinschaften aufzubauen – für alle Körper und für alle mentalen und neuronalen Verfasstheiten?« (268) auch künftig für die Literaturwissenschaft fruchtbar gemacht werden kann.

Notes

  1. Um die besondere Stellung dieser Figur zu verdeutlichen, die sich nach Haraway und Fink weder als weiblich noch als männlich aber auch nicht als ein Dazwischenseiendes, sondern als ein Weder-Noch und Beides-Zugleich festschreiben lässt, wird in der Folge von d* Cyborg die Rede sein. [^]
  2. Kurzform von »cybernetic organism«. [^]
  3. Melissa Scott erfindet deshalb nicht nur neue Geschlechterbezeichnungen, sondern sogar eigene Pronomina und kreiert damit auch eine neue Sprache, die sich den Leser*innen erst im Laufe der Lektüre vollumfänglich erschließt. [^]

Autorin

Dr. Dunja Brötz, 1971 in Innsbruck geboren, studierte Vergleichende Literaturwissenschaft und Slawistik (Russistik) an der Universität Innsbruck und dem Puschkin-Institut in Moskau und hat seit 2013 eine Stelle als Senior Lecturer am Institut für Vergleichende Literaturwissenschaft in Innsbruck inne. Ihr Magisterstudium schloss sie 2001 mit der Diplomarbeit »Prosa der Unfreiheit. Dostoevskijs »Aufzeichnungen aus einem Totenhaus« und Kafkas »Die Verwandlung« und »In der Strafkolonie« – ein typologischer Vergleich« ab, das Doktoratsstudium 2007 mit der Dissertation »Dostoevskijs »Idiot« im Film. Ein intermedialer Vergleich zwischen dem Roman und Akira Kurosawas Hakuchi‹, Saša Gedeons Návrat idiota und Wim Wenders’ The Million Dollar Hotel».

Konkurrierende Interessen

Der Autor hat keine konkurrierenden Interessen zu erklären.

Zitierte Werke

Haraway, Donna J. Staying with the Trouble. Making Kin in the Chthulucene. Duke University Press 2016. DOI:  http://doi.org/10.2307/j.ctv11cw25q