In ihrer Dissertation Architekturen des Unheimlichen. Kinetische Labyrinthe des Horrors in Film und Literatur verbindet Marlen Freimuth das psychoanalytische Konzept des Unheimlichen mit einer architekturalen Semantik. Dadurch schafft sie eine bisher noch nicht berücksichtigte Verknüpfung des Unheimlichen mit Architektur und spürt den Verbindungen beider Inhalte in Filmen wie Dark City (US/AUS 2008, Regie: Alex Proyas) und Cube (CA 2000, Regie: Vinzenzo Natali) und Literatur wie House of Leaves (2000) nach.

Freimuth legt im Einleitungskapitel »Aus-Gang: Wovon auszugehen ist« die Grundsteine für ihre Sutdie, indem sie die Begriffe ›Architektur‹ und ›Psychoanalyse‹ miteinander in Beziehung setzt. Zunächst scheinen diese keine Gemeinsamkeiten aufzuweisen, doch sie verweist darauf, dass sich Sigmund Freud als Begründer der Psychoanalyse seinen Arbeiten selbst architekturaler Rhetorik bedient hat. In einem zweiten Schritt setzt die Autorin Freuds Konzept des Unheimlichen mit der Architektur in Beziehung. Obwohl nicht von Freud selbst so betrachtet, verdeutlicht sie, dass das Unheimliche des architekturalen Raumes spätestens im 18. Jahrhundert mit den Gothic Novels bekannt wurde und sich im 19. Jahrhundert mit dem deutschen Schauerroman sowie später auch in der Architektur der 1960er-Jahre fortsetzt. So werden etwa Orte, Häuser sowie Räume unheimlich, wenn in und an ihnen kleine Veränderungen vorgenommen und sie beispielsweise dekonstruiert werden. Im Anschluss verweist die Autorin auf die Idee von ›Unheimlicher Architektur‹: Während etwa der Architekturhistoriker Anthony Vidler davon ausgeht, dass es keine unheimliche Architektur gäbe, sondern Unheimliches im Raum nur entstehe, wenn jener mit einem unheimlichen Ereignis in Verbindung gebracht wird, hebt hingegen Freimuth die Relevanz von Architekturen des Unheimlichen für ihre Arbeit hervor. Für sie geht es darum, »Bauwerke, die in Texten und Filmen begegnen und den Raum dabei allererst entstehen lassen, als unheimlich auszuweisen« (24). Im letzten Abschnitt der Einleitung bringt sie Kinetik und Labyrinthik, die beiden anderen titelgebenden Begriffe, ein. Das Unheimliche ist in diesem Kontext stetig in Bewegung und wie ein Labyrinth verzweigt – es erscheint wie ein kinetisches Labyrinth, das immer woanders hinführen kann.

Als erstes Filmbeispiel führt Freimuth im zweiten Kapitel Dark City ein. Zunächst referiert sie über die Bewegungen der Stadt im Film, die sowohl subjektiv als auch objektiv erscheinen. Die Stadt bewegt sich selbst aktiv, in ihr finden Veränderungen statt, während durch ihre Bewegungen hindurch Bewegungen der Körper ihrer Bewohner*innen stattfinden. Der Film zeigt dabei durch seine eigene filmische Bewegung das bewegte Bild der Bewegungen der Stadt und erzeugt so das Unheimliche. Die Stadt in Dark City spielt dabei mit den Erinnerungen ihrer Bewohner*innen. Die Stadt selbst wird transformiert und zeigt damit gleichzeitig ihre Stabilität und Instabilität, da sie sich stetig verändert. In dieser unsteten Stadt werden wiederum Experimente an den Bewohner*innen durchgeführt. Jede Nacht erhalten sie im Schlaf Injektionen von Dr. Daniel P. Schreber (Kiefer Sutherland), die ihnen eine neue Identität geben. Stadt und Subjekte werden somit beide immer wieder neu gebildet. Da der Film in seiner Diegese auf andere filmische Konzepte verweist, schlägt die Autorin als Zwischenfazit eine Brücke zum filmischen auf der einen und zum architektonischen Expressionismus auf der anderen Seite. Während des Expressionismus entstanden Filme, die sich von Stadtbildern inspirieren ließen. Umgekehrt wurden Metropolen wie New York von den filmischen Stadtideen geprägt. Dieser Expressionismus wurde dann in den 1940er-Jahren vom Film Noir aufgegriffen und diente Dark City als Inspiration. Ein weiteres, wiederum realhistorisches Vorbild stellt Dr. Schreber dar, der dem gleichnamigen Doktor in Dark City voranging und insbesondere durch seine Nervenkrankheit und deren Schilderung in Die Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken (1903) Bekanntheit erlangte. Dabei verweist die Autorin darauf, dass Dr. Schreber stets als Zitat erscheint – er ist sowohl eine fiktive Filmfigur als auch an einer realhistorischen Person orientiert – und durch seinen erkrankten Namensvetter selbst zum Inszenierten eines möglichen Phantasmas wird: »Der Raum des Subjekts überlagert sich mit dem Raum der Leinwand, die wiederum Zitation von Leinwandgeschichte ist« (72). Da die Spirale als Labyrinth angesehen werden kann und in Dark City als Allegorie verwendet wird sowie ebenfalls für die weitere Analyse wichtig erscheint, referiert Freimuth in dem Zwischenkapitel »Über-Gang« über narrative Spiralen. Für sie schafft es gerade das Medium Film, die Figur der Spirale wie zu einem Möbiusband zu verdrehen und dieses Konzept in die Filmarchitektur einzuarbeiten.

Insbesondere das Bild des Möbiusbands begleitet die Untersuchung zweier Filme im vierten Kapitel »Architekturmaschinen«. Cube, der erste Teil einer Trilogie, behandelt den namensgebenden Kubus, der örtlich und zeitlich nicht verortet werden kann und der mit mehreren Kammern und Rätseln ausgestattet ist, in dem fünf Personen auf der Suche nach einem Ausgang umherirren. Dabei bewegen sich die Kammern in ihrer Position selbst. Im Prolog befindet sich noch eine andere Person im Kubus, die zerstückelt wird. Die Autorin verweist darauf, dass die Zerstückelung des Körpers hierbei zweifach stattfindet: Im Film und durch den Film als schneidendes und demontierendes Medium. Gerade das wiederkehrende Motiv des Auges bildet dabei einen wichtigen Bestandteil. Ein Auge zu Beginn des Films erscheint beispielsweise losgelöst von einem dazugehörigen Körper, stellt aber gleichzeitig eine Verbindung zum Raum dar. Durch seine teils abgesonderte Stellung koalieren das Auge und dessen Blick mit der filmischen Architektur zu etwas Unheimlichen. Während somit das Auge an sich sowie der Prozess des Sehens als etwas Vertrautes wahrgenommen werden können, erzeugt der Film eine Verzerrung des Bekannten und lässt es somit unheimlich erscheinen. Auch die wenigen Geräusche im Hintergrund des Films untermalen das Unheimliche, da nie klar ist, ob sie extradiegetisch nur für die Zuschauenden bestimmt oder auch innerdiegetisch für die Insassen zu hören sind. Durch die labyrinthische Struktur des Kubus entsteht eine Paranoia bei den Insassen, die sie Theorien entwerfen lässt, wer hierfür verantwortlich ist oder dass es einen Weg hinausgeben muss. Am Ende des Films zeigt sich, dass es kein Ende gibt, weil der Ausgang nach draußen wieder hineinführt. Der Würfel ist in sich verwoben wie die narrativen Spiralen, die die Autorin vorstellt. Die Handlungen der Insassen führen stets zum selben Anfangspunkt und die Geschichte endet und beginnt zugleich wieder.

Bei Cube2: Hypercube (US 2003, Regie: Andrzej Sekuła) handelt es sich um eine Fortsetzung, die vierdimensionale Architektur im zweidimensionalen Medium zeigen will. Die potenzierte Dimension verschlingt und produziert sich stets aufs Neue und wird damit zu einer unvorstellbaren Darstellung, die gefangen ist in der Zweidimensionalität des Films. Dabei verdoppelt sich der Film selbst und wird als Fortsetzung zu einer Art unheimlichen Doppelgänger seines Vorgängers. Cube2 ist optisch heller als Cube und durch sein grelles Licht, das die Wände und somit die Struktur des Würfels betont, trägt es zur Darstellung der filmischen Architektur bei. Das Unheimliche besteht für Freimuth darin, dass der Würfel Wege vierdimensional eröffnet. Dadurch zerfällt der Würfel immer wieder in sich und erzeugt auch menschliche Doppelgänger, die Teil der Architektur werden. Diese Doppelgänger selbst sind dadurch auch Teil des Unheimlichen. Sie sehen aus wie ihr Vorbild, sind jedoch nie identisch mit ihm, da es, wie im Film, neben ihnen weiterexistieren kann. Bei Freud sind Doppelgänger Reste aus einer infantilen Zeit und aus kindlichem Narzissmus entstanden. Ursprünglich freundlicher Natur, erscheinen sie nun jedoch unheimlich, da sie zu einer Bedrohung für das Leben werden, indem sie den Platz ihres Vorbilds einnehmen wollen. Durch die Doppelgänger im Film werden die Insassen somit mit dem Tod konfrontiert – wie wenn jemand fotografiert und somit zum Stillstand verurteilt wird. Die Doppelgänger entstehen aufgrund der Verfaltung des Würfels, der auch die Zeit dehnt und rafft. Noch deutlicher als in Cube wird dabei das Außen mit dem Innen verbunden – die Insassen sind gleichzeitig überall und nirgends. In Cube2 wird versucht, die unmögliche vierdimensionale Architektur zu zeigen und beim Versuch sabotiert es sich selbst, da die Vierdimensionalität niemals durch ein zwei- oder dreidimensionales Medium dargestellt werden könnte, was es erneut unheimlich macht. Wie Freimuth herausarbeitet, entstehen dadurch visuelle Störungen im Bildfeld.

Als literarisches Beispiel für unheimliche Architekturen führt Freimuth Mark Z. Danielewskis House of Leaves an. Der Roman greift für sie jene Elemente auf, die die besprochenen Filme im Hinblick auf unheimliche Architektur bereits dargestellt haben, geht jedoch durch literarische Mittel darüber hinaus. Der Text, der selbst in sich wie ein Labyrinth aufgebaut und aufgrund mehrerer Erzählebenen nicht einfach zu verstehen ist, handelt von einem Haus, das sich stetig verändert und so zum Unheim wird. Dieses Unheim erscheint als ein kinetisches Labyrinth und deshalb als unheimlich, da es sich selbst immer wieder neu definiert: So zieht es sich zusammen und dehnt sich aus, während es draußen dieselbe Größe behält. Das Haus erzeugt dadurch stetig neuen Raum. Es bleibt somit zugleich Bekanntes und wird aufgrund seiner Veränderung immer wieder zum Unbekannten. Auch auf Erzählebene parallelisiert House of Leaves ein solches Entstehen und Vergehen. Für die Autorin wird das Haus somit zum Dekonstrukt. Es beherbergt eine Andersartigkeit, die es gleichzeitig definiert. Hierbei verweist Freimuth auf Derridas Konzept der »Transarchitektur«, auf eine andere Architektur, die sich durch ihre dekonstruierende Art auszeichnet (Derrida 224). Das Außen und das Innen des Hauses sind gleichzeitig dasselbe und auch wieder nicht, was das Haus unheimlich werden lässt. Das gedruckte Buch, das die Geschichte des Hauses erzählt, wird selbst ein Teil vom Ganzen, da es gedreht und gewendet werden muss, um gelesen werden zu können. Dadurch werden die Buchseiten selbst unheimlich, indem sie auf ihre Materialität hinweisen. Das macht House of Leaves zu einem verräumlichten Gegenstand. Durch das aktive Drehen- und Wenden-Müssen harmonieren Form, Inhalt und Operation nicht miteinander. Es entsteht eine Disharmonie, die selbst wiederum verräumlicht ist. Eine weitere Besonderheit des Buches ist zudem, dass es nicht eine zu erwartende, sinngebende Autorenschaft gibt, sondern stattdessen mehrere Fußnoten und Verweise auf andere Instanzen, die eine kommentierende und den Sinn umdeutende Funktion einnehmen. Für Freimuth verweist auch das erneut auf die Bewusstmachung der eigenen Materialität, die nie eindeutig definiert erscheint, sondern sich stets im Prozess des Vergehens und Werdens befindet. Zum Abschluss referiert Freimuth anhand des Comics Die Verschiebung (2013) von Marc-Antoine Mathieu erneut über die Struktur des Möbiusbands und resümiert, dass Architekturen des Unheimlichen eine literatur- und filmhistorische Konstante darstellen.

Mit ihrer Arbeit leistet Freimuth einen interessanten Einstieg in die Verknüpfung des Unheimlichen mit räumlichen Architekturen. Sie verortet damit den Raum, in dem sich bewegt wird und der sich bewegt, als etwas, das Angst auslösen kann. Dabei schafft sie Grundsteine, um diese angstauslösenden Faktoren in Medien untersuchen zu können. Freimuth zeigt ihr breites Wissen, das weit über die Themenschwerpunkte des Unheimlichen und der Architektur hinausgeht, sodass an einigen Stellen die Gedanken sprunghaft werden und nicht immer sofort für jeden eine klare Verbindung ersichtlich wird. Diese liefert sie jedoch stets nach und erzeugt somit eine interdisziplinäre, vielfältige Arbeit.

Autorin

Ann-Kathrin Günther hat im Master Neuere deutsche Literatur an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg studiert und über Posthumanismus in fiktionalen Texten geschrieben. Aktuell promoviert sie in der Literaturwissenschaft. Ihre Dissertation behandelt die erzählerische Rolle von Spielenden im Videospiel.

Konkurrierende Interessen

Die Autorin hat keine konkurrierenden Interessen zu erklären.

Filmographie

Cube. Regie: Vinzenzo Natali. CA 2000.

Cube2: Hypercube. Regie: Andrzej Sekuła. CA 2003.

Dark City. Regie: Alex Proyas. US/AUS 2008.

Zitierte Werke

Danielewski, Mark Z. House of Leaves. Doubleday, 2024.

Derrida, Jacques. »Am Nullpunkt der Verrücktheit – Jetzt die Architektur«. Wege aus der Moderne, 1994, S. 215–232,  http://doi.org/10.1515/9783050071374-018.

Mathieu, Marc-Antoine. Die Verschiebung. Reprodukt, 2015.

Schreber, Daniel Paul. Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken, 1973.

Vidler, Anthony. The Architectural Uncanny: Essays in the Modern Unhomely. MIT Press, 1999.