Es hat sich etwas getan in Sachen Internationalisierung in den Science Fiction Studies – wo noch bis in die 2000er-Jahre hinein der einzig mögliche Austausch in den USA (und teilweise in Großbritannien) stattfand, da ist in den letzten zehn Jahren deutlich Bewegung in Forschungsgemeinde gekommen. Sinnbildlich, dank neuer und international aufgestellter Buchreihen bei Lang oder Wales UP, aber eben auch buchstäblich dank der Initiative junger SF-Forscher*innen auf der ganzen Welt, die Tagungen organisieren und Netzwerke gründen. So ist in Deutschland die GFF hinzugekommen und die alteingesessene SFRA war mit Konferenzen in Lublin und Liverpool gleich zweimal in Europa zu Gast. Darüber hinaus aber ist ein nicht unwesentlicher Anteil am internationalen Erfolg der SF-Forschung auch Veranstaltungen wie der letztjährigen Konferenz Worlding SF in Graz zu verdanken. Die Konferenz wurde unabhängig von Organisationen wie SFRA oder GFF (und deren Jahrestagungen) lokal an der Universität Graz durch die Amerikanisten Stefan Brandt, Michael Fuchs und Steve Rabitsch auf die Beine gestellt. Das ist insbesondere deswegen so erwähnenswert, weil es dem Tagungsteam gelang, neben drei prominent besetzten Keynotes weit mehr als 100 Vortragende aus der ganzen Welt in dem kleinen Ort im Südosten Österreichs zu versammeln und dazu noch während einer Woche ein Rahmenprogramm für die interessierte Öffentlichkeit zu organisieren.

Obwohl mit »Welt« bzw. »Weltenbau« das Oberthema der Konferenz für die Fantastik fast konservativ anmuten mochte, war dennoch zu beobachten, dass die SF-Forschung vor allem progressive und politisch relevante Themenbereiche anzuziehen vermag. So waren es die Keynotes, die inhaltlich drei zentrale und kontroverse Themenbereiche aufspannten und die Konferenzbeiträge um sich zu sammeln vermochten.

Nach der Eröffnung durch die Veranstalter, kam es Mark Bould (University of the West of England) zu, einen ersten Schwerpunkt zu setzen. In seinem vor Pop-Zitaten strotzenden Beitrag »The Great Clomping Foot of Nerdism Stamping on the Human Face – Forever: Worldbuilding and Contradiction« widmet er sich der Frage großer zusammenhängender Welten wie Star Trek, Dr. Who oder (fantastisch weit-gefasst) dem Lord-of-the-Rings-Franchise und deren logischer Konsistenz. In Zeiten von Franchises und Vermarktungen, so Bould, würde zunehmend ein Kampf zwischen Produzent*innen und Konsument*innen entbrennen, der sich um Deutungshoheiten und Kanonisierungen drehe, aber auch die überzogenen Erwartungen von Fans hinsichtlich der Bereinigung von narrativen Widersprüchen aufzeige. Dabei stellten die Autor*innen zum Teil selbst in Frage, ob nicht gerade logische Lücken und das Neu- und Umschreiben bestehender Elemente der Welt zur Leistung hochkomplexen und fantastischen Weltenbaus gehöre. Dinge gerade nicht logisch »aufgehen« zu lassen, so Bould, sei auch ein Zeichen einer komplexen, der kapitalistischen Vermarktung widerstrebenden Haltung in der Konstruktion von SF-Welten.

Die Verbindungen von SF-Welten und deren Status als Produkt einer globalisierten Medienindustrie war damit der erste zentrale Themenkomplex der Worlding-SF-Tagung, der auch in den Panels zu großen Franchises wie dem Marvel Cinematic Universe (MCU), Westworld oder Star Trek Nachhall fand. So beschäftigte sich etwa ein Vortrag mit dem Spagat, Disney-Franchises wie das MCU zugleich kulturwissenschaftlich und medienkritisch zu bewerten. Einerseits seien die Filme wirkmächtig für die kulturelle Selbstbestimmung und dank immer variableren Produktionen wie THOR: RAGNAROK (US 2017, Regie: Taika Waititi) oder BLACK PANTHER (US 2018, Regie: Ryan Coogler) ein wichtiger Schritt zu besserer Repräsentation beispielsweise nicht-weißer Ethnien oder flexibler Genderperformances. Andererseits aber sei Disney ein global agierender, hyperkapitalistischer Konzern, dessen Monopolstellung wirkliche Diversität im Bestreben um Marktmacht eher unterdrücke. Die Rolle, die den SF-Welten in diesem kulturellen Spannungsfeld zukommt, wurde auf der Konferenz aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet.

Mit einem verschobenen Fokus, nicht auf die Markt- und Produktionsverhältnisse sondern auf die Potenziale der SF-Welten für Repräsentation des Anderen, lieferte Cheryl Morgan (Wizard’s Tower Press) ihre Keynote »Systems of Sex and Gender« und damit den zweiten Themenstrang der Konferenz. In dem äußerst kurzweiligen Vortrag präsentierte Morgan einen Abriss verschiedenster Formen von Sexualität und Gender in der SF, immer unter Rückbezug auf die Inspirationsquellen in der Biologie. Dabei stellte sie provokante Forderungen nach mehr Diversität und verwies kritisch auf Parallelen zu den logischen Widersprüchen aus Boulds Vortrag, etwa in der Diskussion um die weibliche Brust bei Spezies wie den Silurianer in Dr. Who, die als Echsenwesen kaum ihre Jungen säugen, was Brüste somit biologisch überflüssig macht – die Verweise auf inkonsistenten Weltenbau und den kulturellen Erwartungsdruck an die kommerzielle Produktion waren offensichtlich.

Insgesamt gab es eine Vielzahl von Panels zu Themenbereichen der Identity Politics, sowohl im Bereich der Gender und Queer Studies, als auch im Bereich der Critical Race oder Indigenous Studies. So beschäftigte sich etwa ein Vortrag mit dem Afrofuturismus von Nisi Shawls Roman Everfair (2016), der sich des belgischen Kolonialismus im Kongo annimmt und aufzeigt, welches Potenzial für afrikanische Identitätsbildung im Weltenbau einer Parahistorie gegeben ist. Ein anderer Beitrag wiederum widmete sich den verschiedenen Alienrassen in Becky Chambers Wayfarer-Romanen und verdeutlichte an ihnen das Potential der SF zur Repräsentation verschiedenster Genderperformances und des Queering.

Zum Abschluss der Konferenz präsentierte dann Gerry Canavan (Marquette University) den dritten und wohl dominantesten Themenstrang: das Anthropozän und die Frage nach der Zukunft unserer Spezies. Canavan griff mit »Worlding Crisis, Crisising Worlds« einige Bemerkungen der Eröffnungsrede auf und verwies auf die Wichtigkeit der SF in der Vermittlung von Themen wie Klimawandel, globaler Migration oder der immer größer werdenden sozialen Ungleichheit. Dabei sei aber, wie schon die Organisatoren bemerkten, das Zusammentreffen auf einer solchen Konferenz ein Beitrag innerhalb dieses zerstörerischen Systems – der »carbon footprint« solcher Veranstaltungen müsse entsprechend in Zukunft deutlicher mitbedacht werden. Canavan nutze seinen Vortrag dazu, die Warnungen der SF vor einer schwindenden Zukunft deutlich zu machen, und verwies vor allem auf den aktuellen Dystopie-Trend als Zeichen unserer kulturellen Verunsicherung.

Auch dieses Thema war in Panels und Vorträgen sehr präsent, war doch unter anderem eine Gruppe britischer Forschender angereist, die in zwei Panels ihre Arbeiten zu PetroCultures vorstellten. Dabei plädierten die Forscher*innen für eine Abkehr von der Rhetorik der »Sustainability« und hin zu einem Denken der »Scarcity«, einer Zukunft jenseits des Öls, die nicht ein Weiter-so darstelle, sondern einen Wandel in Hinsicht auf Produktion, Mobilität und Konsum. Darstellungen von Nachhaltigkeit in der SF zeigten aber auf, dass wir uns aktuell kaum die Frage stellen, welche Werte wir erhalten und für wen eigentlich.

Insgesamt zeigten die Beiträge der Worlding-SF-Konferenz einmal mehr, welchen kulturellen Wert die SF hat und welche Potentiale sie gesellschaftlich nutzbar zu machen versucht. In der heutigen globalen und vernetzten Welt ist es schön zu sehen, dass ein Event wie Worlding SF nicht nur ein vergänglicher Moment ist, sondern eine Vielzahl weiterer Debatten parat hält, die es in Zukunft weiter zu führen gilt. Dazu trägt auch bei, dass die Keynotes aufgezeichnet wurden und auf Facebook (WorldingSF) frei zugänglich sind, dass eine Vielzahl aktiver Twitter-Nutzer*innen die Beiträge live kommentiert und diskutiert haben (#worldingsf), und dass die Open Access veröffentlichte SFRA Review (www.sfra.org) in Ausgabe 327 eine Sammlung von Beiträgen präsentiert. So kann jede*r an den Diskursen teilhaben und diese weiter vorantreiben.

Autor

Lars Schmeink ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für eLearning an der HafenCity Universität und forscht seit Jahren zur Fantastik und speziell zur Science Fiction. Er ist der Autor von Biopunk Dystopias: Genetic Engineering, Society, and Science Fiction und der Mitherausgeber von Cyberpunk and Visual Culture. Aktuelle Projekte sind der Routledge Companion to Cyberpunk Culture und ein Sammelband zur zeitgenössischen deutschsprachigen Science Fiction.

Konkurrierende Interessen

Der Autor hat keine konkurrierenden Interessen zu erklären.